Verschont Covid Afrika?

Bill Gates und andere warnten vor 10 Millionen Corona Toten, maroden Gesundheitssystemen, einem Massensterben. Solche Bilder von Covid-19 in Afrika gingen im Jänner und Februar durch unsere Medien. Jetzt im Dezember fragen wir uns in denselben Medien, warum diese Katastrophe ausgeblieben ist. – Eine Bestandsaufnahme.

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Zunächst die Fakten. Am afrikanischen Kontinent wurden per 18. Dezember knapp 2,5 Millionen Corona infizierte Personen gemeldet, davon sind etwa 58.000 verstorben. Bei einem Anteil Afrikas an der Weltbevölkerung von 17% fallen nur 3% der Corona Infektionen und Sterbefälle an.

Statt Millionen Menschen sind bisher „nur“ 58.000 verstorben. Statt überproportional vielen Todesopfern, ist die Sterberate am afrikanischen Kontinent 5,5 Mal geringer als im Durchschnitt der restlichen Welt. – Wie kann es sein, dass die Pandemie in Afrika nicht nur nicht schlimmer, sondern sogar weit weniger wild wütet als im Rest der Welt? Und wird es auch so bleiben?

Unterschätzte Gesundheitssysteme

Der bedeutendste blinde Fleck der westlichen Welt war die Einschätzung der afrikanischen Gesundheitssysteme. Diese war erstens vorurteilsbehaftet, weil wir afrikanischen Ländern funktionierende Systeme nicht zutrauen. Tatsächlich haben Senegal, Ruanda, Äthiopien, Kenia und die meisten anderen afrikanischen Länder aktuelle Erfahrungen mit Epidemien. Sie haben diese genutzt und viel rascher als wir reagiert: schnelle Lockdowns und schnelle Vorkehrungen der Gesundheitseinrichtungen. Viele der dezentralen Außenposten sind nicht hochtechnisch ausgestattet. Aber im Bereich der Basishygiene und Gesundheitsvorsorge stehen sie sehr oft in wirksamem Austausch mit der Bevölkerung.

Zweitens war unsere Einschätzung schlichtweg falsch. Unsere Berichterstattung hatte sich auf die geringe Anzahl der Beatmungsgeräte und Intensivbetten konzentriert – z. B.: „150 Intensivbetten für 105 Millionen Menschen in Äthiopien“ – und die Basisvorsorge der Gesundheitssystem außer acht gelassen. Intensivbetten können aber immer nur wenigen Menschen mit gar nicht so hohen Erfolgsaussichten helfen; eine gut funktionierende Basisvorsorge aber hunderten Millionen Menschen den Umgang mit dem Virus erklären.

Drittens haben wir die Innovationskraft afrikanischer Länder unterschätzt. Wissenschaftler im Senegal haben bereits in einem sehr frühen Stadium ein 1$-Corona-Test-Kit entwickelt. Ghana baute mit freiwilligen Mitarbeitern auf Gemeindeebene ein Kontaktverfolgungssystem auf, das innovative „Pooltests“ nutzt. Mehrere Blutproben werden gemeinsam getestet, nur bei einem positiven Ergebnis als Einzeltests weiterverfolgt. Ruanda nutzt Roboter zur Temperaturmessung und mit Megaphonen ausgestattete Drohnen zur Information der ländlichen Bevölkerung. Außerdem war es Technikern in Kenia und Ruanda in wenigen Wochen gelungen, funktionsfähige Beatmungsgeräte zu bauen.

Junge Bevölkerung und höhere Dunkelziffer

Mit ihrer jungen Bevölkerung haben die afrikanischen Länder einen gravierenden Vorteil bei der Bewältigung der Pandemie. Bei älteren Patienten sind die Schwere der Krankheit und die Sterberaten ja ungleich höher.

Das Medianalter der Bevölkerung liegt in afrikanischen Ländern unter 20 Jahren, in europäischen über 40 Jahren. In Afrika sind nur knapp 3% der Bevölkerung älter als 65 Jahre alt, in Europa sind es fast 20%. Erste Analysen auf Basis altersbezogener Sterberaten haben ergeben, dass aufgrund des jüngeren Alters eine um zwei bis fünfmal niedrigere Sterberate zu erwarten ist. Die viel jüngere Bevölkerung würde damit einen großen Teil der derzeit niedrigen Sterberate erklären.

Die Anzahl der durchgeführten Corona Tests pro Million Einwohner ist in afrikanischen Ländern deutlich geringer als bei uns. Das führt zur Annahme, dass die Dunkelziffer bei den registrierten Corona Infektionen in afrikanischen Ländern höher liegt.

Damit lautet eine plausible Hypothese: Eine höhere Dunkelziffer bei den Infektionen, eine weniger hohe Dunkelziffer bei den Todesfällen. Diese sind tatsächlich viel geringer als bei uns.

Corona in Afrika
Corona Hotspots der Welt laut Johns-Hopkins University am 18. Dezember 2020

Immunitäten und klimatische Bedingungen

Die größere Epidemie-Erfahrungen, die jüngerer Bevölkerung und die höheren Dunkelziffern erklären die bessere Performance der afrikanischen Länder aber noch nicht zur Gänze. Zumindest meinen das viele Analysten.

Einiges scheint darauf hinzudeuten, dass in Afrika eine größere Anzahl von Personen wirksame Immunitäten aufgebaut haben. Laut einer WHO Statistik sterben in Afrika noch immer mehr als die Hälfte aller Menschen an ansteckenden Infektionskrankheiten wie Malaria oder Tuberkulose. Das bedeutet, dass im Durchschnitt die Menschen in einem weit höherem Ausmaß Infektionskrankheiten ausgesetzt sind und gegen diese behandelt werden. Dadurch könnten „Kreuzimmunitäten“ in einem höheren Ausmaß aufgebaut worden sein. In diese Richtung deutete zum Beispiel eine Studie, die der in Afrika weit verbreiteten Tuberkulose-Impfung eine reduzierte Sterberate bei Covid-19 Patienten zuschreibt.

Hinzu kommen unterschiedliche klimatischen Bedingungen. Nordafrika und Südafrika mit teilweise mediterranen Klimazonen weisen weitaus höhere Infektionszahlen auf; Länder mit tropischem oder subtropischem Klima viel geringere. Laut unseren Epidemiologen begünstigen die kühlen Temperaturen ja die Ausbreitung der Pandemie.

Mein Kollege und Afrika-Kenner Thomas Kukovec verweist auf den bekannten italienischen Immunologen Vittorio Colizzi. Der meint, in vielen afrikanischen Ländern erschweren die klimatischen Bedingungen die Ausbreitung der Sekundärinfektionen. Es infizieren sich zwar viele Menschen mit dem Virus, aber eine Infektionen der Lunge oder anderer Organe findet nicht statt.

Schlussfolgerungen

Afrikanische Länder erleiden im Gefolge der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie eine massive Wirtschaftskrise. Die bei uns aber medial groß angekündigte Afrika-Gesundheitskatastrophe ist ausgeblieben. Afrikanische Länder haben die Gesundheitskrise bisher vergleichsweise gut gemeistert, dank funktionierender Institutionen und dank der Kompetenz von deren MitarbeiterInnen.

Aber die Gesundheitskrise ist noch nicht ausgestanden. Großen Flächenländer wie Kongo, Angola oder Niger weisen im ländlichen Raum eine viel geringere Verkehrsvernetzung auf. Das lässt erwarten, dass eine Ausbreitung der Pandemie noch bevorsteht. Und in Ländern wie Südafrika, Nigeria oder Senegal baut sich gerade eine zweite Welle der Infektionen auf. In Kenia ist man gerade dabei, diese zu überwinden.

Wir sollten es vermeiden, von der Ankündigung der Gesundheitskatastrophe nun in das Gegenteil – dem Wunder der Verschonung Afrikas von der Pandemie – umzuschlagen. Dieses wird so nicht stattfinden. Trotz Jugend und Robustheit der Bevölkerung steht auch den afrikanischen Gesundheitsdiensten noch harte Arbeit zur weiteren Bekämpfung der Pandemie bevor.


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