HANS STOISSER
Compact with Africa – Gelingt Deutschland eine neue Afrikapolitik?
Ausschwärmen nach Afrika statt Marshallplan mit einseitigen Hilfszahlungen: Beim G20-Treffen letzte Woche in Hamburg machte Deutschland auch „Afrika“ zum Thema.
(Die Langversion dieses Artikels ist am 6. Juli 2017 beim Zukunftsinstitut erschienen)
Afrika als Chef(innen)sache
Seitdem Migration zu einem brennenden innenpolitischen Thema geworden ist, ist Afrika Chef(innen)sache. Die deutsche Bundesregierung hat die multilaterale Initiative “Compact with Africa” gestartet, die beim G20-Gipfel in Hamburg am 6. und 7. August auf Ebene der 20 weltweit wichtigsten Länder diskutiert wird. Neu und im letzten Moment mit eingearbeitet: Private Unternehmen sollen in afrikanische Länder strömen, investieren und zusammen mit lokalen Partnern Kundennutzen schaffen.
Zunächst hatte noch das Entwicklungsministerium mit seinem „Marshallplan für (mit) Afrika“ und der Idee dominiert, durch möglichst viele staatliche Hilfsleistungen afrikanische Länder “zu entwickeln”, Arbeitsplätze zu schaffen und damit die Afrikaner davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Doch abgesehen von den vielen Milliarden Euro an Hilfe, die Afrika längst hätten entwickeln sollen, übersieht dieser Ansatz vor allem zwei Dinge:
1. Es läuft gar nicht so schlecht in „Afrika“.
2. Wenn es noch mehr und schnellere wirtschaftliche Entwicklung gäbe, würden eher mehr als weniger Migranten zu uns kommen.
„Afrika“ boomt
Laut dem Internationalem Währungsfonds hat sich die Wirtschaftsleistung Sub-Sahara Afrikas zwischen 2000 bis 2015 verdreifacht. Parallel dazu hat sich das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelt – im Durchschnitt, inklusive aller “Failed States”. Dahinter stehen unterschiedliche Entwicklungen. Der Boom der Rohstoffpreise hat die rohstoffexportierenden Länder wie Nigeria oder Angola besonders befeuert. In anderen Ländern wie Botswana, Äthiopien, Ghana, Mosambik, Ruanda, Kenia, Tansania, Uganda oder Senegal fußt der Aufschwung dagegen auf einer sich diversifizierenden Wirtschaft.
Allen gemeinsam ist ein dramatischer Umbruch: Die afrikanischen Länder haben angedockt an die Weltwirtschaft, und ihre Mittelschicht hat sich eingeloggt in die globale Wissensgesellschaft. Und durch zunehmende globale Arbeitsteilung und Vernetzung wird die Armut längst zurückgedrängt.
Fluchtursachen bekämpfen?
Der zweite in einem Marshallplan übersehene Punkt ist, dass mehr wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze in Afrika nicht automatisch zu weniger Emigration nach Europa führen. Denn die Nigerianer, Ghanaer, Eritreer oder Senegalesen wollen nicht zu uns, weil sie immer ärmer werden. Sondern: weil sie immer weniger arm werden.
Studien zeigen: Wenn Menschen aus der absoluten Armut kommen und das durchschnittliche Einkommen von Gesellschaften steigt – von 500 auf 1000, 2000 oder 8000 Dollar im Jahr –, nimmt die Emigration zu. Aus- und Einwanderungen sind ein natürlicher Teil von Gesellschaften, die sich verändern. Der Megatrend Mobilität befeuert diese Entwicklung.
Mit Entwicklungshilfe gegen die Fluchtursachen der Wirtschaftsmigration vorzugehen, ist daher ein Kampf gegen Windmühlen. Traditionelle Entwicklungshilfe – und damit auch ein Marshallplan – sind in der heutigen Welt „unterkomplex“: Sie versuchen, die Geschehnisse in einfachen Ursache-Wirkung-Zusammenhängen zu erklären. Deswegen sind wir auch in die Falle getappt und haben die Bootsflüchtlinge in Italien als Bestätigung für unser Afrika-Bild der Krisen, Kriege und Katastrophen gesehen. (Und haben dabei vollkommen übersehen, was sich in afrikanischen Ländern sonst noch getan hat.)
Mut zur Komplexität
Von den Systemwissenschaften wissen wir, dass wir die eigene Komplexität verstärken müssen, um mit komplexer werdenden Umwelten umgehen zu können. Dies könnte eine Politik des “Ausschwärmens” und lokalen Vernetzens europäischer Unternehmen und Organisationen in afrikanischen Ländern leisten: Sie erhöht die eigene Komplexität.
Der deutsche Ansatz “Compact with Africa” setzt auf dezentrale Lösungen und die Kraft und Intelligenz der Vielen. Er löst nicht planbare Dynamiken aus – und erhöht so die Chancen auf nachhaltige Lösungen für Afrikaner und Afrikanerinnen um ein Vielfaches. Mit einem zukunftsweisenden “Test and learn”-Mindset anstelle des linearen “Plan and implement”-Ansatzes der traditionellen Entwicklungshilfe.
Zugleich bieten die Vernetzungen in den Herkunftsländern einen wesentlichen Baustein zur Lösung des Immigrationsproblems in Europa. Denn wie sollte die zunehmende transkulturelle Vernetzung hier in den Griff bekommen werden, wenn nicht auch durch Vernetzung dort, in den Herkunftsländern?