HANS STOISSER
Russlands Angriff und Afrika
„Die russische Invasion in der Ukraine könnte die größte Militäraktion in Europa seit 1945 werden. Sie läutet auch eine neue Ära eines hochriskanten Wirtschaftskriegs ein, der die Weltwirtschaft weiter spalten könnte“, schreibt der Economist am 2. März.
Die meisten von uns sind geschockt. Und auf den ersten Blick macht es wenig Sinn jetzt an unsere Beziehungen zu afrikanischen Ländern zu denken.
Aber das Gegenteil ist der Fall: Es gibt zumindest einen politischen und drei wirtschaftliche Gründe, warum wir jetzt die Beziehungen zu unserem afrikanischen Nachbarkontinent ausbauen sollten.
- Gegen die drohende Spaltung der globalen Gesellschaft
- Europa braucht Zukunftsmärkte
- Von afrikanischen Innovationen lernen
- Energiewende mit Afrika denken
1. Gegen die drohende Spaltung der globalen Gesellschaft
Am 2. März haben in einer Dringlichkeitssitzung der UN-Vollversammlung 141 Länder die Invasion Russlands verurteilt, bei 35 Enthaltungen und nur 5 Gegenstimmen (Russland, Weißrussland, Nordkorea, Eritrea und Syrien). Es ist ein gemeinsamer Moment der Weltgemeinschaft, bei dem die überragende Mehrheit der Staaten eindeutig reagiert, wenn den Menschen eines souveränen Staates ihre Selbstbestimmungsrechte gewaltvoll genommen werden.
Es erinnert ein wenig an 1990/91 als es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch so einen Moment gab. Ein Freiheitsschub machte sich damals auch in afrikanischen Ländern breit. Einparteiensysteme wurden gestürzt, die unglückseligen Versuche zentralistisch-planwirtschaftlicher Politik verschwanden und die Menschen in den Städten traten heraus aus der Anonymität in die öffentlichen Räume.
Freilich geschah das vor dem Aufstieg Chinas und vor dem afrikanischen Wirtschaftsboom der 2000er und 2010er Jahre. Und bevor der Westen der Realwirtschaft immer mehr abschwor und sich auf die Finanzwirtschaft konzentrierte. Was zum Beinahezusammenbruch im Jahr 2008 führte, unter dessen Folgen wir heute noch leiden. Und bevor westliche Selbstgenügsamkeit, Besitzstandswahrung und Antriebslosigkeit in der Bürokratisierung unserer offiziellen Beziehungen mit afrikanischen Ländern mündete.
Heute sind die baltischen Staaten und Polen bestätigt, weil sie uns immer schon vor Russlands aggressiver Diktatur gewarnt hatten. In den Worten der litauischen Premierministerin Ingrida Simonyte war der Westen in den letzten Jahrzehnten in einen Schlaf verfallen, aus dem er jetzt ganz plötzlich geweckt wurde.
Die Gunst der neuen Gemeinsamkeit sollten wir in unseren Beziehungen mit afrikanischen Ländern nutzen. Aber diesmal mit einer – durchaus interessensgetriebenen – Ehrlichkeit. Es geht um das große gemeinsame Ganze der globalen Gesellschaft, um offene Systeme und zunehmende Vernetzungen, im physischen wie im digitalen Raum. Nur so kann sich eine ausreichende materielle Versorgung, ein gedeihliches Miteinander und Frieden unter den zukünftig 10 Milliarden Menschen dieses Planeten einstellen.
Es ist wohl ein entscheidender Moment, einer Spaltung der Welt in Einflusssphären der großen Mächte entgegenzutreten. Gute und zukunftsgerichtete afrikanisch-europäische Beziehungen sind ein kleiner, aber wesentlicher Teil davon. Auf staatlicher und politischer Ebene, wie auch auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene.
2. Europa braucht Zukunftsmärkte
Wo findet Ihr Unternehmen derzeit eher seine Zukunftsmärkte, in Osteuropa und Russland oder in Afrika? Eine unzulässige Frage in diesem emotionalen Moment. Aber für mich und viele, die mit afrikanischen Ländern arbeiten, ist schon länger klar, dass Afrika das größte Wirtschaftspotenzial aller Kontinente hat.
Heute hat Afrika 1,4 Milliarden Einwohner, 2050 sollen es 2,5 Milliarden sein. Ein immer größerer Teil der neuen globalen Mittelschicht wird zukünftig in Afrika leben und die Nachfrage nach Gütern und Leistungen wird gewaltig steigen. Auch die Nachfrage nach den von deutschen, Schweizer und österreichischen Unternehmen hergestellten Industriegütern.
Freilich gilt auch hier, wie im Politischen, dass es um ein Unterenehmertum des 21. Jahrhunderts geht. Nur wenn Unternehmen in Afrika auch wirklich den Nutzen für ihre Kunden und Stakeholder in den Mittelpunkt stellen, wenn es ihnen gelingt partnerschaftlich mit lokalen Partnern zusammenzuarbeiten, werden sie langfristig Erfolg haben. Und damit werden sie in diesem historischen Moment einen kleinen Beitrag zur Weltgeschichte leisten.
3. Von afrikanischen Innovationen lernen
Das Mobiltelefon hat hunderten Millionen Menschen in Afrika Zugang zu Kommunikation gegeben, wenige Jahre später hat die FinTech Revolution für sie den Zugang zur Geldwirtschaft hergestellt. Das war in den 2000er Jahren und hatte neue Lebensvoraussetzungen geschaffen. Heute hat in fast allen afrikanischen Ländern eine Tech- und Startup-Bewegung Fuß gefasst. Sie sucht und findet neuartige Tech-gestützte Lösungen für spezifische afrikanische Probleme.
Wesentliche Innovationen für die globale digitale Gesellschaft werden am mobile-only Kontinent Afrika geboren, dort wo vorindustrielle Gesellschaften direkt in der digitalen Zeit gelandet sind und Innovationen näher am Bedarf der Menschen entstehen.
4. Energiewende mit Afrika denken
Nach Europas Aufwachen und sicherheitspolitischer Wende wird die Energiewende neu bewertet. Noch ist das meiste erst im Entstehen. Aber zumindest langfristig wird es ohne eine verstärkte Zusammenarbeit mit Afrika nicht gehen. Denn nur dort werden wir zum Beispiel genügend grünen Wasserstoff finden. Afrika statt Russland, das kann eine Devise der Energiepolitik werden.
Und wenn wir klimarelevante Probleme wirklich lösen und europäischen Unternehmen die Chancen zu einer Technologieführerschaft geben wollen, ist die Produktion erneuerbarer Energien gemeinsam mit dem viel größeren Afrika eine riesige Chance.
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Die brutalen Auswüchse russischer Machtpolitik zeigen eindrucksvoll, dass wir Vieles für zu selbstverständlich genommen haben, von einer rationalen Sicherheitspolitik über mehr oder minder offene Grenzen bis zur Rechtssicherheit oder zu einem offenen Bildungszugang.
Heute hat Europa wieder eine „Mission“. Die Grundfeste einer auf Sicherheit und Freiheit aufbauenden offenen vernetzten globalen Gesellschaft gilt es zu verteidigen und zu stärken. In afrikanischen Ländern gemeinsam mit unseren Partnern.
Auch ein in einem afrikanischen Land engagiertes europäisches Unternehmen leistet wesentliche Beiträge dazu.
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Hier mein Buch zur digitalen Transformation in Afrika und Hinweise zu kommenden Veranstaltungen: