Migration von Afrika nach Europa

Artikel von Hans Stoisser erschienen in den Europäischen Briefen der European Society Coudenhove-Kalergi am 5.12.2018.

Migration von Afrika nach Europa

Erst wenn wir die Realitäten in Afrika wahrnehmen, wird Europa mit der Migration und der vernetzten Welt umgehen können.

Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten

Viele der Somalier, Eritreer oder Südsudanesen die in Europa angekommen sind, haben sich aus Angst um ihr Leben auf den Weg gemacht. Sie sind vor Bürgerkriegen oder Unterdrückungsregimen geflohen, also vor sogenannten Fluchtursachen, die man sehr schwer bekämpfen kann.

Aber die Zahl der afrikanischen Flüchtlinge, die es bis Europa schaffen ist überschaubar. In Österreich kamen im Jahr 2017 von insgesamt 24.745 Asylanträgen weniger als 1.000 von Personen aus afrikanischen Krisenländern. In Deutschland waren es in den ersten acht Monaten des Jahres weniger als 9000 von 124.405 Anträgen. Und nicht bei allen Anträgen handelt es sich tatsächlich um echte Flüchtlinge.

Die meisten Nigerianer, Senegalesen, Ghanaer oder sonstigen Afrikaner, die nach Europa drängen, tun das aus Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie sind klassische „Wirtschaftsmigranten“.

Gründe für Wirtschaftsmigration

Sind für den Migrationsdruck aus Afrika nach Europa fehlende Perspektiven, eine miserable Lage auf dem Arbeitsmarkt und überhaupt die Armut verantwortlich? Erzählen wir uns die richtige Geschichte, um die afrikanische Migration zu verstehen?

Wir Europäern sehen die großen Wohlstandsunterschiede zu uns selbst und meinen die Armut als Migrationsursache bzw. wie zumeist genannt Fluchtursache zu erkennen. Aber dieses Narrativ stimmt nicht. Die Perspektiven und Arbeitsmärkte in den afrikanischen Ländern waren nie besser als heute. Im Gegenteil, sie waren immer viel schlechter.

1990 lebten noch zwei Drittel der Afrikaner in absoluter Armut, heute ist es etwa ein Drittel. Die afrikanischen Länder haben in den letzten Jahrzehnten den Anschluss an die vernetzte globale Gesellschaft gefunden. In den meisten afrikanischen Ländern kommen heute immer mehr Menschen aus der absoluten Armut heraus und steigen die Einkommensleiter empor. Eine Mittelklasse ist im Entstehen. Und wir wissen, es sind nicht die Armen, die emigrieren. Die meisten Migranten kommen aus der unteren Mittelklasse. Denn Emigration ist eine Investition und die muss man sich leisten können.

Auch Studien zeigen, dass in armen Ländern, in denen die durchschnittlichen Einkommen steigen, die Emigration zunimmt. Zumindest bis das jährliche Durchschnittseinkommen 8.000 bis 10.000 US-Dollar erreicht hat. In der afrikanischen Subsahara liegt dieses derzeit bei etwa 4000 US-Dollar.

Logisch weitergedacht bedeutet dies für die gegenwärtige Subsahara in Afrika: je weniger Armut, desto mehr Migration! Es gibt also keine Migrationsursachen, die wir bekämpfen können. Denn niemand will sich gegen wirtschaftliche Entwicklung und Armutsreduktion stellen.

Der Migrationsdruck aus Afrika nach Europa wird in jedem Fall zunehmen. Das gehört zum Wesen von wirtschaftlicher Entwicklung in einer immer vernetzter werdenden Welt. Die Afrikanerinnen und Afrikaner sind in den letzten beiden Jahrzehnten endgültig Teil davon geworden. Aber wie damit umgehen?

Immigrations- und Vernetzungspolitik

Ich meine, es muss das große Ganze gesehen werden und Europa soll aktiv die vernetzte globale Gesellschaft  mit einer offensiven Immigrations- und Vernetzungspolitik in zweierlei Richtung mitgestalten:

Legale Immigrationsmöglichkeiten aus Afrika sind dringend notwendig. Sie sollen dort geschaffen werden, wo es beiderseitige Vorteile gibt. Dies ist schon alleine deswegen notwendig, um das Asylsystem wieder auf seine eigentliche Rolle zu reduzieren und wieder wirksam zu machen.

Aber auch wir Europäerinnen und Europäer müssen aus unserer – als bedroht empfundenen – Komfortzone heraus, ausschwärmen und uns in Afrika vernetzen. Dann wird Migration aus Afrika auch nicht mehr nur als Bedrohung wahrgenommen werden. Und auch für uns Europäer selbst werden sich neue Chancen in der Welt eröffnen.

 

 

Hans Stoisser ist Unternehmer und Managementberater, Associate beim Global Peter Drucker Forum und war über 30 Jahre in unterschiedlichen Funktionen in afrikanischen Ländern tätig. Dazu hat er ein Buch geschrieben, „Der schwarze Tiger – Was wir von Afrika lernen können“ (2015). Derzeit ist er öfters in Nairobi, wohin er „Learning Journeys“ organisiert, um unternehmerisch denkenden Menschen das innovative Afrika näher zu bringen (www.ecotec.at).

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