Warum Hilfsorganisationen die Lage in Afrika neu analysieren müssen

Für den Jahresbericht des Österreichischen Roten Kreuzes wurde ich eingeladen, meine Sichtweise zu Afrika und humanitäre Organisationen darzustellen. Hier eine Kurzfassung meines Artikels:

Ein anderer Blick auf Afrika

Humanitäre Organisationen sollten die neue Lage in Afrika analysieren, ihr eigenes Wirken überdenken und sich in einer komplexer werdenden Welt auf ihre Stärken und Prinzipien fokussieren.

„Hilfe zur Selbsthilfe“ war das Motto einer Städtepartnerschaft, die ich mitaufbauen durfte. 1982 reiste ich dafür zum ersten Mal auf die Kapverdischen Inseln, den westlichsten Punkt Afrikas. Ich betrat eine Welt, die anders war:  keine Hinweisschilder auf den Straßen, kaum Autoverkehr, kein TV,  natürlich auch keine digitale Kommunikation.

Heute ist alles anders. Kap Verde ist ein Middle-Income-Country, eng vernetzt mit dem Festland und mit Europa und seit drei Jahrzehnten in Gründerzeitstimmung mit boomender Wirtschaft.

Wenn ich, mehr als 36 Jahre später, in Afrika von Projekten mit „Hilfe zur Selbsthilfe“ lese, frage ich mich, warum wir Europäer nicht verstehen wollen. Wir – europäische und afrikanische Länder – leben in einer vernetzten globalen Gesellschaft. Es gelten andere Spielregeln.

Angedockt, Rückgang der Armut, neue Mittelschicht

Schon in den 1990er-Jahren deutete sich an, was mittlerweile Realität geworden ist: der Anschluss der afrikanischen Länder an die globale Wirtschaft. Damit einher gingen eine Verdreifachung der Wirtschaftsleistung Subsahara-Afrikas in den Jahren 2000 bis 2015 und ein Rückgang der absoluten Armut.

Afrika hinkt dem weltweiten Rückgang der Armut zwar hinterher, aber der Anteil der extrem Armen ging auch auf unserem Nachbarkontinent von 57 % im Jahr 1990 auf 35 % im Jahr 2015 zurück. Und trotz steigender Bevölkerung sinkt mittlerweile auch die absolute Zahl der Menschen in extremer Armut: laut Schätzungen der Weltbank von 393 Millionen im Jahr 2011 auf 347 Millionen im Jahr 2015.

Und weiteres wichtigstes Element: Eine neue urbane Mittelschicht ist entstanden. Heute sind es 300 bis 400 Millionen AfrikanerInnen, die es sich leisten können, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Eingeloggt in die globale Kommunikations- und Wissensgesellschaft, haben sie Zugang zum Wissensschatz der Welt. Schon im Jahr 2030 wird sich ihre Zahl zumindest verdoppelt haben. Darin liegt die wirkliche wirtschaftliche Dynamik.

Dahinter steht eine jahrtausendealte Konstante der Menschheitsgeschichte: die stetig zunehmende Arbeitsteilung, der zunehmende Handel und die zunehmende Vernetzung.

Vernetzung statt Abgeschiedenheit und Isolation – das ist die neue Realität auf unserem Nachbarkontinent.

Humanitäre Organisationen

Humanitäre Organisationen sollten zuallererst anerkennen, dass es nicht so schlecht läuft in Afrika. Auch wenn die Wohlstandsunterschiede noch lange bestehen bleiben werden, der Trend ist positiv. Vor allem aber stellen die neuen globalen Vernetzungen und der neue „Wettbewerb um Afrika“ eine Riesenchance für eine eigenständige Entwicklung afrikanischer Länder dar.

Zweitens sollte klar sein, dass Hilfe zur Selbsthilfe kein Konzept zur Entwicklung afrikanischer Länder ist. Ein auf einseitigen Hilfeleistungen aufbauender Ressourcentransfer kann immer nur ein vorübergehender Zustand sein. Die erzeugten Abhängigkeiten lassen keine nachhaltigen Entwicklungen zu. Verantwortungsübernahme und Eigeninitiative werden unterdrückt.

Drittens sollten wir uns bewusst machen, dass es nicht Europa ist, das die Probleme Afrikas lösen wird. Die AfrikanerInnen haben das längst selbst in die Hand genommen. Wir können nur Angebote machen.

Schließlich: In einer komplexen Welt hängt alles mit allem zusammen, ja. Aber deswegen muss man den eigenen Tätigkeitsbereich nicht automatisch über humanitäre Hilfe hinaus auf langfristige Entwicklungszusammenarbeit ausweiten. Das kann nur zu leicht schief gehen. Mit Komplexität umzugehen heißt, sich auf die eignen Stärken zu besinnen, klaren Prinzipien zu folgen und die wirklich wirksamen „Hebel“ zu finden.

Wird die zunehmende Selbstständigkeit der Hilfsempfänger die Existenzgrundlage der humanitären Organisationen gefährden?

Nicht, wenn diese die richtigen strategischen Entscheidungen treffen und sich verändern.

Dafür müssen sie sich aber zuallererst vom Bild eines Afrikas verabschieden, in dem durch Konflikte, Naturkatastrophen und Landflucht alles immer schlechter wird.

Der Rest ergibt sich dann – fast – von selbst.


Download gesamter Artikel:

Humanitäre Organisationen in Afrika

Ein Kommentar

  1. Ich lebe seit nunmehr 13 Jahren in Malawi und besuche den Kontinent arbeitshalber seit 23 Jahren. Leider kann ich den Aussagen im Artikel nicht zustimmen, denn Afrika über einen Kamm zu scheren geht genauso wenig wie Europa über einen Kamm zu scheren.
    Sicher hat es in Ländern wie Ruanda, Ghana und Kenia viel Fortschritt gegeben. Das sind die Vorzeigeländer, die immer gern zitiert werden. Hier in Malawi hat sich jedoch seit 55 Jahren praktisch nichts verändert, obwohl (oder gerade weil) wir die höchste Dichte an humanitären Organisationen haben. Korruption und Armut, sowohl an Geld wie auch an Wissen, sind seit meiner Ankunft noch immer gleich. Geändert hat sich lediglich das Bevölkerungswachstum, das nun bei 3.5% im Jahr liegt und das, humanitären Organisationen sei Dank, zu einer Festigung der Armut beiträgt. Dank verbesserter Gesundheitsversorgung und Nahrungsmittelspenden sind Familien nun in der Lage, im Schnitt sechs statt zwei Kinder zu ernähren. Ist das der gewollte Fortschritt? Solange die humanitären Organisationen ihre kurzsichtigen Projekte durchführen und nicht langfristig denken, führt dies zu immer mehr Abhängigkeit. Mein Rat: NGO go home! Wir brauchen nicht noch mehr Unheil.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert