Umgang mit der afrikanischen „Armutsmigration“

Artikel von Hans Stoisser erschienen in den Europäischen Briefen der European Society Coudenhove-Kalergi am 15.12.2016

Umgang mit der afrikanischen „Armutsmigration“

Wenn wir ein klares Bild haben, ergibt sich die Strategie – fast – von selbst

Für Europa ist Afrika der „K-Kontinent: Kriege, Krisen, Katastrophen, Korruption, Kriminalität, Krankheit, Kapitalflucht. Kein Wunder, denken wir, dass hunderte Millionen Afrikaner nach Europa drängen. Wir haben Angst und viele fühlen sich existenziell bedroht.

Wie gegensteuern? Abschottung und Grenzen dicht? Entwicklungshilfe zur Bekämpfung der Fluchtursachen?

Abschottung und Entwicklungshilfe?

Wir blicken mit unseren 30.000 Euro Jahres-Durchschnittseinkommen auf die Länder Subsahara-Afrikas mit durchschnittlich 4.000 Euro im Jahr. Und sehen die Armut.

Nicht aber, dass sich die Einkommen in diesen afrikanischen Ländern in den letzten beiden Jahrzehnten verdoppelt und in manchen Ländern sogar verdreifacht haben. Dass die Zahl der Menschen in absoluter Armut in Afrika laut Weltbank von zwei Drittel im Jahr 1990 auf ein Drittel im Jahr 2015 zurückgegangen ist. Und dass trotz steigender Bevölkerung mittlerweile auch die absolute Zahl der Armen zurückgeht und mancherorts die Einkommen in den Städten Afrikas das Niveau der Einkommen der süd- und osteuropäischen Länder erreicht haben.

Da wir diese positiven Entwicklungen nicht erfassen, bezeichnen wir die afrikanischen Migranten geringschätzig als „Armutsflüchtlinge“. Wir glauben, sie kommen zu uns, weil die Afrikaner immer ärmer werden. Sie kommen aber, weil sie weniger arm geworden sind und Chancen in anderen Weltgegenden suchen. Erstmals haben sie die Möglichkeit dazu.

Vernetzte globale Gesellschaft

Es gehört zum Wesen der vernetzten globalen Gesellschaft, dass Mobilität und Migration mit einer sich verbessernden materiellen Versorgung zunehmen. Zumindest in Gesellschaften mit einem Durchschnittseinkommen bis 8.000 bis 10.000 Euro, wie Studien zeigen.

Es scheint fast, als ob Europa nicht wahrhaben will, dass die Globalisierung und mit ihr die fortschreitende global arbeitsteilige Wirtschaft anderswo höchst dynamisch wirkt, die afrikanischen Länder längst zu einem Teil der globalen Wertschöpfungsnetzwerke gemacht hat und damit auch die Armut der Ärmsten zurückdrängt.

Europa sieht viel eher die „Landflucht“ in Afrika und die Armen in den Slums der Städte. Und will nicht verstehen, dass Urbanisierung die große Chance vor allem für einen Flächenkontinent ist. Zum Glück aber gibt es mittlerweile über 50 Millionenstädte. In ihnen hat sich eine urbane Mittelschicht gebildet, mit direktem Zugang zur globalen Kommunikations- und Wissensgesellschaft. In vielen Ländern ist sie mittlerweile groß genug, um als kritische Masse die Zukunft zu bestimmen.

Urbane Mittelschicht

Wir aber nehmen weiterhin den armen afrikanischen Subsistenzbauern als Modell für Entwicklung. Und übersehen auch, dass die Digitalisierung ganz Neues hat entstehen lassen.

Zunächst hat die Mobiltelefonie innerhalb weniger Jahre für Millionen von Menschen einen Zugang zu Kommunikation bewirkt. Dann haben die auf Mobiltelefonie aufbauenden sogenannten mobilen Banken für diese Menschen innerhalb kürzester Zeit einen Zugang zur Geldwirtschaft geschaffen. Beides Grundvoraussetzungen, die eigenständiges Wirtschaften erst ermöglichen.

Das östliche Afrika wurde so Weltmarktführer für mobile Zahlungsdienstleistungen. Wer ausprobiert hat, wie anwenderfreundlich über das Mobiltelefon Bankdienstleistungen beim kenianischen Marktführer der mobilen Banken, M-Pesa, durchgeführt werden können, wundert sich, dass die krisengeplagten österreichischen Bankmanager nicht nach Kenia pilgern, um von „Afrika“ zu lernen.

Tradition und Moderne

Einmalig am Nachbarkontinent ist die „Gleichzeitigkeit der Zeiten“: Traditionelle Gesellschaften und die Moderne existieren nebeneinander und bringen ganz besonderen Einfallsreichtum und Kreativität hervor. Afrika ist der erste Kontinent, in dem das Mobiltelefon von vorne herein eine zentrale Rolle für viele Lösungsansätze spielt. Zum Beispiel im Gesundheits- und Ausbildungsbereich, aber auch in der Energieversorgung.

Im östlichen Afrika sind bereits hunderttausende mit „smarten“ Solaranlagen ausgestattet, die über eine SIM-Karte mit dem Mobilfunknetz verbunden sind. Und in großer Zahl entstehen „Mini-Stromnetze“, gespeist von Solar oder Windkraftwerken. Mit modernster Block-Chain basierter Software ist ein Wettlauf um den zukünftigen Standard und die zukünftige Plattform für intelligente Stromverteilungsnetze entbrannt.

Umgang mit Mobilität und Migration

Während Europa von Krise zu Krise eilt und taumelt, sieht es die positiven Entwicklungen am Nachbarkontinent nicht. Die vernetzte globale Gesellschaft weist den Weg. Sie hat eine Konstante der Menschheitsgeschichte – die stetig zunehmenden Arbeitsteilung und Vernetzung – auf globale Ebene gehoben. Dadurch ermöglicht sie nicht nur das Leben von heute 7,2 Milliarden und zukünftig 9,5 Milliarden Menschen, sie gibt immer mehr Menschen dieser Welt auch die Chance auf ein Leben in Würde und mit Sinnerfüllung.

Europa hat durch seine inklusiven Institutionen und sein Modell der offenen Gesellschaft die wesentlichen Grundlagen für die globale Gesellschaft geschaffen.

Wenn sich Europa eines Tages seiner selbst wieder besinnt und seine positive Rolle in der Welt wieder erkennt, ergibt sich die Grundlage seiner Strategie für den Umgang mit Mobilität und Migration – fast – von selbst: SCHÜTZEN der eigenen Institutionen hier und AUSSCHWÄRMEN und VERNETZEN mit den Menschen und Organisationen dort in den Ländern Afrikas und der sonstigen nicht-westlichen Welt.


 

Hans Stoisser baut seit mehr als 30 Jahren Infrastruktur in Afrika auf. Seit 1992 leitet er die Managementberatung ECOTEC, die unter anderem in Bulgarien, Palästina und Brasilien, vor allem aber in vielen afrikanischen Ländern, tätig war. In seinem Buch „Der schwarze Tiger“ erklärt der Ökonom, warum Europa die Wende in Afrika verpasst hat, was jetzt zu tun ist, warum Entwicklungshilfe beim Flüchtlingsproblem nicht hilft und was wir von Afrika lernen können.


 

Hans Stoisser als Autor:

Der schwarze Tiger – Was wir von Afrika lernen können

von Hans Stoisser, Kösel Verlag,
ISBN 978-3-466-37125-9

 

Der schwarze Tiger - Was wir von Afrika lernen können

 

 

 

 

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Jahrelang wird Afrika angeblich geholfen. Jeder Mensch hilft, jedes Land hilft. Aber Afrika geht es immer noch schlecht. Da wundert es mich dass man Griechenland in wenigen Monaten retten konnte. Oder musste.
    Lg Mati

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