Kooperationspolitik – Entwicklung neu gedacht

Von einer Kooperationspolitik mit Entwicklungsländern ist man in Europa noch immer weit entfernt. Im Gespräch kritisiert Hans Stoisser das Helferdenken in der Entwicklungszusammenarbeit und ist sich sicher, dass das europäische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell eigentlich mehr zu bieten hätte.

Hans StoissercorporAID: In Österreich wird zum Thema Entwicklungshilfe zumeist über die fehlenden Mittel diskutiert. Ist Geld die zentrale Herausforderung?

Stoisser: Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen Katastrophenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Bei der Katastrophenhilfe geht es darum, Menschen kurzfristig zu helfen. Hier muss Österreich eine klare Rolle im Konzert der internationalen Helfer spielen – mit entsprechenden budgetären Mitteln. Entwicklungshilfe ist aber etwas anderes als Katastrophenhilfe, und sie hat nicht nur auf österreichischer, sondern auch auf europäischer Ebene ein Problem. Das eigentliche Dilemma des Helfens wird nicht gesehen: Wenn die Hilfsempfänger selbstständig und unabhängig geworden sind, verlieren die Helfer ihre Daseinsberechtigung.

In der Entwicklungshilfe geht es darum, neue Wege zu finden. Da geht es nicht mehr um einen bestimmten Geldbetrag, sondern um neue Formen der Kooperationspolitik. Europa hat das mit der Paris-Deklaration im Jahr 2005 versucht, wo sich Geber- und Empfängerländer zu allem Möglichen verpflichtet haben – nur ist das leider in eine vollkommen falsche Richtung gegangen. Zum einen tut man so, als ob die Geberländer keine Interessen hätten. Zum anderen tut man so, als ob es einen von Menschenhand erstellten und Schritt für Schritt umsetzbaren Plan gäbe, anhand dessen Entwicklung passiert.

Wie löst man das Problem, Werte und Interessen vernünftig zusammen zu bringen?

Stoisser: Würden wir selbst an unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem glauben, hätten wir die auf Hilfe basierende Entwicklungszusammenarbeit schon längst überwunden und wären heute in fruchtbarem Dialog und Kooperation mit vielen Ländern. Das tun wir aber nicht. Auch wegen der Wirtschaftskrise ist Europa im Moment kein Vorbild. Wir sprechen alle von der Krise und glauben gleichzeitig fest an die Attraktivität unseres Angebots, während die chinesische oder asiatische Wirtschaft boomt. Wie wird man aber nun ein attraktiver Partner? Es geht um die Überwindung der Entwicklungspolitik zugunsten einer Kooperationspolitik, wo wir offen unsere Werte und Interessen auf den Tisch legen.

Welche Bedeutung hat Europa heute für die Entwicklungsländer?

Stoisser: Heute für die Entwicklungsländer?
Wenn man genau hinschaut, spielt Europa auf dem afrikanischen Kontinent auf dem Gebiet der Ideen kaum mehr eine Rolle. Wenn diese Länder neue Modelle für politische und wirtschaftliche Strukturen suchen, finden sie diese eher im asiatischen Raum. Staatskapitalistische Strukturen gepaart mit dem US-amerikanischen Shareholder Value-Denken sind im Moment die Leitbilder in vielen afrikanischen Ländern. Der Status
 der Europäer 
hingegen ist
 deutlich gesunken. Vor zwanzig Jahren hat man die Europäer noch gebeten, doch zu investieren und das nicht die Chinesen übernehmen zu lassen. Mittlerweile ist es umgekehrt, und chinesische Partner sind immer öfter willkommener als europäische.

Mangelt es Europa an attraktiven Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen, die man einer afrikanischen Gesellschaft anbieten kann?

Stoisser: Ideen Dritter anzuwenden, heißt ja nicht notwendigerweise, eine intellektuelle Auseinandersetzung darüber zu führen. Das Faktum zählt – die Idee wird übernommen. Das chinesische Modell ist hochattraktiv für Gesellschaften, die im Aufbau begriffen sind. Es gibt staatliche Führungspersönlichkeiten verbunden mit privatwirtschaftlich tätigen Oligarchen. Und solange es Wirtschaftswachstum gibt, wird es auch beim Volk keine großen Aufstände geben. So läuft es im Moment. Aber die Frage war ja: Hat Europa da nichts zu bieten? In Wirklichkeit hat Europa sehr wohl etwas zu bieten. Die offene Gesellschaft, marktwirtschaftlich orientiert, politisch liberal – das ist das Modell, das die Globalisierung überhaupt erst ermöglicht hat. Aber wir glauben selbst nicht mehr daran, vor allem nicht in der Entwicklungspolitik.

„Die offene Gesellschaft, marktwirtschaftlich orientiert, politisch liberal – das ist das Modell, das die Globalisierung überhaupt erst ermöglicht hat. Aber wir glauben selbst nicht mehr daran, vor allem nicht in der Entwicklungspolitik.“

Welchen Beitrag kann die österreichische Entwicklungszusammenarbeit leisten?

Stoisser: Einen eigenständigen Beitrag sehe ich im Moment nicht. Man spielt oft mit im Konzert der europäischen Geber mit einer Promille-Beteiligung an einem Programm. Zum Vergleich: China oder Brasilien betreiben Interessenspolitik. Und bisher leisten sie auch einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der afrikanischen Länder. Europa tut das nicht. Auch aus Wertegründen. Unternehmen werden nicht immer positiv gesehen. Einer der Ansatzpunkte ist daher: Man muss richtig verstehen, wie Unternehmen funktionieren und welchen Beitrag sie zu Entwicklung leisten. Wenn man nach dem Zweck von Unternehmen fragt, werden 90 Prozent bei uns antworten: Gewinnmaximierung und Shareholder Value. Dabei sind der Zweck eines Unternehmens die Produkte und Dienstleistungen, die es produziert – und daraus entsteht der Entwicklungsbeitrag. Nur mit diesem Verständnis kann man Entwicklung und Entwicklungspolitik anders verstehen, denn erst dann sieht man, dass Unternehmen einen ganz wesentlichen Beitrag beispielsweise zum afrikanischen Boom leisten.

Wie kann Europa vom Hilfsansatz wegkommen?

Stoisser: Man sollte sich fragen: Was ist eigentlich das europäische Wirtschaftsmodell? Vielen mittelständischen Unternehmen im deutschsprachigen Raum ist es in den vergangenen zwanzig Jahren gelungen, sich selbst zu globalisieren und auf den Weltmärkten eine wichtige Rolle zu spielen. Das sind Unternehmen, die nur deswegen so gut funktionieren, weil sie einen Nutzen für Kunden und damit einen Beitrag zur Entwicklung schaffen – seien es jetzt Erntemaschinen oder Schweißroboter. Das ist ein europäisches Modell, das man anerkennen muss und bewusst in die Entwicklungspolitik einbringen sollte. Und es ist auch unser Interesse, erstens das globale Wirtschaftssystem Richtung Kundennutzen statt Gewinnmaximierung zu trimmen und zweitens guten europäischen Unternehmen einen Rahmen für deren Expansion zu bieten.

In einer interdependenten globalisierten Welt wird immer ein wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Austausch stattfinden. Diesen sollten wir auf einer anderen Ebene und mit einem anderen Ansatz im Hintergrund forcieren. Das bedeutet: nicht kommen um zu helfen, sondern sich endlich auf Augenhöhe begegnen. Die Chinesen können das im Moment besser, es gelingt ihnen, von gleich zu gleich zu sprechen. Das müssten wir Europäer auch tun.

Was braucht es in Österreich?

Stoisser: Die österreichische Situation ruft ja geradezu nach einer konzertierten politischen Strategie. Heute wird nur verteidigt, was man gerade macht. Damit ist jeder Strategieprozess sinnlos. Ein politischer Rahmen sollte etwas mit europäischen Werten – individuelle Rechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, humanistisches Denken – und Interessen zu tun haben. Damit haben wir der Welt etwas anzubieten und können uns auch gegenüber nicht-westlichen Ländern abgrenzen. Wenn ich jetzt mein Schlagwort hernehme – von der Entwicklungshilfe zu einer echten Kooperationspolitik – dann ist schon viel vorstellbar. Ich brauche allerdings auf unserer Seite eine kritische Masse von Akteuren, die Interesse haben, gemeinsam etwas mit einem bestimmten Land zu unternehmen. Und es gibt zahlreiche Ansatzpunkte, um globale Interessen mit nationalen oder einzelwirtschaftlichen klug zu vereinen, beispielsweise bei Kooperationen im Bereich erneuerbare Energien. Da geht es auch um globale öffentliche Güter: Energiesicherheit, eine intakte Umwelt, Klimaschutz.

Wie kann das praktisch aussehen?

Stoisser: Wenn ich in einem afrikanischen Land eine Kooperation mit aufbaue oder weiterentwickle, kann ich die auf andere Beine stellen. Ich bin nicht mehr in Mosambik um zu helfen, und deswegen gibt es Geld geschenkt, sondern ich bin da, um gemeinsam an einer Sache zu arbeiten. Die anderen müssen uns dabei wegen unserer Leistungen und Produkte wollen und nicht nur wegen des geschenkten Geldes. So können wir die Globalisierung gemeinsam mitgestalten. Das kann funktionieren, wenn man es gut macht. Eine Politik der subventionierten Hilfe ist dabei aber eher kontraproduktiv.

Vielen Dank für das Gespräch.

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ZUR PERSON:
Hans Stoisser
ist Gründer und Geschäftsführer von Ecotec. Seit 1992 ist er als Manager und Unternehmer tätig, seit über zwanzig Jahren befasst sich der studierte Volkswirt mit Entwicklungskooperationen.

© corporAID Magazin Nr. 52
Das Gespräch führte Christoph Eder.
Foto: Christoph Eder

… lesen sie das Interview in auch CorporAID, Ausgabe Juni 2014.

 

 

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