Entwicklungshilfe: Vom Edelmann zum Partner

Der folgende Artikel wurde in der österreichischen Tageszeitung Der Standard am 5.6.2014 veröffentlich und löste eine rege Debatte zur Entwicklungshilfe aus.

Entwicklungshilfe: Vom Edelmann zum Partner

Karlheinz Böhm hat seit den 1980er-Jahren viel Gutes in Afrika geleistet, aber seine Form der Entwicklungszusammenarbeit ist an ihrem Endpunkt angelangt

Wetten, dass nicht einmal jeder dritte Zuschauer eine D-Mark für notleidende Menschen in der Sahelzone spenden wird?“ Diese Wette hat das Leben von Karlheinz Böhm 1981 verändert. Aus dem Filmschauspieler und gefeierten Darsteller des jungen Franz Josef wurde der jetzt verehrte Entwicklungshelfer. „Vom Kaiser zum Edelmann“, lautete eine Schlagzeile.

Ein sinnvolles Leben

 „Vater Karl“, wie er in Äthiopien genannt wird, schuf die Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“, die jährlich mit einigen Millionen Euro Spendengeldern Hilfsprojekte im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich finanziert – danke, Karlheinz. Du hast in deinem erfüllten Leben viel Sinnvolles geschaffen. Vielen Äthiopiern hast du geholfen, Kranke wurden geheilt, Kinder wurden ausgebildet, vielen Menschen steht jetzt eine ganz andere Welt offen. Doch diese Art von Entwicklungshilfe ist an ihrem Endpunkt angelangt! Auch wenn sich Hilfsempfänger und Helfer noch wehren.

Die Welt hat sich grundlegend verändert. In den 1980er-Jahren des Karlheinz Böhm war Äthiopien von einer Hungersnot heimgesucht. Nach einer Dürreperiode starben über 500.000 Menschen. Derartiges gibt es heute in Äthiopien nicht mehr: Äthiopien ist, wie die meisten afrikanischen Länder, Teil der globalen Wissens- und Kommunikationsgesellschaft geworden. Globale Wertschöpfungsketten binden die Länder Afrikas in die Weltwirtschaft ein. Durch zunehmenden Handel, Arbeitsteilung und Vernetzung gibt es im Afrika des 21. Jahrhunderts keine Hungersnöte mehr – außer durch Polit- oder Kriegswirren geschaffene.

Eine gebildete und in einer globalisierten Welt aufgewachsene Generation hat die Führungspositionen in Staat und Wirtschaft übernommen. In den Städten ist der Alltag längst von einer Mittelschicht geprägt, deren Erwerbsleben, Konsum- und Kommunikationsverhalten wie bei uns einem globalen Standard entsprechen. Das gilt für Addis Abeba wie für Nairobi, Daressalam, Maputo oder Accra.

Zur Lösung der nach wie vor großen sozialen Probleme taugt Entwicklungshilfe aus Europa nicht mehr. Erstens, weil einseitige Hilfsleistungen auf Dauer nicht nachhaltig sein können. Sie zementieren die Abhängigkeit der Hilfsempfänger von der Hilfe. Und das „Fund-Raising“ in Europa zementiert bei uns das Bild von Afrika als dem „Katastrophenkontinent“, denn es benötigt genau ein solches Afrika für den wirksamen Spendenaufruf. Beides aber verstärkt die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede, anstatt sie zu vermindern.

Zweitens, China, aber auch Indien, Brasilien, Indonesien, Malaysia, Thailand, die arabische Welt oder die Türkei haben uns gezeigt, dass es auch ohne Hilfsdenken geht. Mit ihren Investitionen haben diese Länder einen Grundstein für den heute spürbaren wirtschaftlichen Boom Afrikas gelegt. Sie verknüpfen ihre eigenen Interessen offen mit den Interessen der einzelnen armen Länder und leisten auf diesem Weg einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung.

Drittens wollen immer mehr Menschen nicht mehr als Hilfsempfänger auf dem Katastrophenkontinent gesehen werden. Wie wir sind sie Weltbürger in unserem Global Village. Hilfsdenken ist ein hierarchisches Denken und lässt uns das nicht erkennen: Zu oft nehmen wir den Hilfsempfängern damit ihre Würde.

Es ist inzwischen auch spürbar, dass Europa auf dem Gebiet der Ideen in den Ländern Afrikas keine Rolle mehr spielt. Bei der Suche nach neuen Modellen für die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen dienen immer mehr die autoritären staatskapitalistischen Praktiken Asiens als Vorbild – und nicht die humanistisch und demokratisch geprägten europäischen.

Es gibt die Katastrophenhilfe mit dem Zweck, Menschen, die von Kriegen oder Naturkatastrophen betroffen sind, schnell und wirksam zu helfen. Und es gibt die Entwicklungshilfe, die auf die längerfristige Entwicklung von Regionen oder Staaten abzielt. Die Katastrophenhilfe steht außer Streit. Österreich soll seine dafür veranschlagten Mittel, wie versprochen, aufstocken und einen wirksamen Beitrag im internationalen Konzert der Helfer leisten.

Helfer-Paradoxon

Die Entwicklungshilfe aber müssen wir überwinden. Wir müssen das dem Helfen ganz allgemein innewohnende Paradoxon anerkennen: Gelingt das Herstellen der Selbstständigkeit und der Autonomie der Hilfsempfänger, entzieht dies den Helfern die Daseinsberechtigung. Dies bedeutet nicht den Abzug der Europäer aus Afrika. Im Gegenteil. In einer zunehmend globalisierten und interdependenten Welt wäre das auch vollkommen verkehrt. Es verlagert lediglich unsere Beziehungen zu den afrikanischen Staaten auf eine andere Ebene. Der wirtschaftliche, kulturelle und soziale Austausch wird ohne Hilfsdenken ganz automatisch zunehmen. Und endlich können wir mit Afrika auf Augenhöhe kommunizieren. Genau das müssen wir Europäer aber erst lernen.

(Hans Stoisser, DER STANDARD, 5.6.2014) – derstandard.at/2000001797089/Entwicklungshilfe-Vom-Edelmann-zum-Partner

 

5 Kommentare

  1. http://derstandard.at/2000001797089/Entwicklungshilfe-Vom-Edelmann-zum-Partner?seite=1#forumstart

    Schluss mit der Almosenkultur

    Nur der politische und karitative Showbusiness kann Entwicklungshilfe noch als Erfolg verkaufen.Immer mehr Afrikaner fühlen sich als Opfer der westlichen Entwicklungshilfe.Es wird angeführt, dass Entwicklungsländer der Welt, die der westlichen Entwicklungshilfe entkommen konnten, wohlhabend wurden. Das mag überspitzt sein, aber manche Länder sind nach 50 Jahren Hilfe ärmer als vorher. Besser wäre es zu fragen, was die Menschen in Afrika selbst für sich tun könnten.Ich habe beobachtet, dass die afrikanischen Länder, die am meisten Entwicklungshilfe erhalten, am wenigsten gegen die Armut unternehmen.

    Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor „Afrika wird armregiert“

  2. Wider neoliberale Entwicklungshilfe

    von PETER HUEMER

    Dass ein Unternehmensberater die Welt sieht, wie eben ein Unternehmensberater die
    Welt sieht, ist weder erstaunlich noch verwerflich. Aber es ist korrekturbedürftig. Das Afrika von Hans Stoisser sieht so aus: „Eine gebildete und in einer globalisierten Welt aufgewachsene Generation hat die Führungspositionen in Staat und Wirtschaft übernommen.“ Tatsächlich? Wir hören und lesen über Somalia als „failed state“, über Nigeria und Boko Haram, über Massaker in der Zentralafrikanischen Republik, über Simbabwe usw. und staunen über diese Behauptung.

    Stoisser proklamiert das Ende der Entwicklungszusammenarbeit, aber die Kritik an ihr

    wird in Afrika selbst seit Jahrzehnten wesentlich differenzierter geführt. 1993
    veröffentlichte Axelle Kabou aus KamerunWeder arm noch ohnmächtig. Eine
    Streitschrift gegen schwarze Eliten und weiße Helfer. Da geht es um die
    anhaltende Selbstinfantilisierung in Afrika, das immer noch dem europäischen
    Kolonialismus die Schuld zuschiebt an Folterdiktaturen, Bürgerkriegen und korrupten
    Eliten. Aber die Begriffe „Menschenrechte“ und „Korruption“ kommen in Stoissers Text über Afrika nicht einmal vor.

    ….

    Schöne neue Welt des Neoliberalismus: Ab jetzt hat nicht nur jeder Europäer, sondern angeblich auch jeder Afrikaner – sagen wir: fast jeder – den Marschallstab im Tornister. Er oder sie muss nur etwas aus sich machen. Dazu wäre es allerdings gut, wenn er oder sie lesen und schreiben kann. …

    voller Beitrag hier: http://derstandard.at/2000001908619/Wider-neoliberale-Entwicklungshilfe

    • Sehr geehrter Herr Huemer,

      danke für Ihren Kommentar. Schade, dass Sie meine Argumentation in die Schubladen „Unternehmensberater“ und „neo-liberal“ stecken. Diese werden der heutigen Situation in Afrika nicht gerecht. Wir sprechen von Entwicklungshilfe und Afrika und Sie schreiben zuallererst davon, dass Afrikaner nicht lesen und schreiben können. Dann, dass es Aufgabe der Entwicklungshilfe ist, die Schulen dafür zu bauen. Und dann erwähnen Sie „failed states“, Boko Haram, Massaker und die fehlenden Begriffe „Menschenrechte“ und „Korruption“.

      Zum Glück hat sich die Realität in vielen afrikanischen Ländern von diesem Bild schon lange entfernt. Mittlerweile gibt es eine kritische Masse an Ländern, die derzeit – alles ist offen – ihre Entwicklung ganz gut im Griff haben. Schulbildung für alle und laufende Verbesserung der Bildungssysteme sind Selbstverständlichkeiten (was nicht heißt, dass es nicht noch ganz grobe Mängel gibt). Zunehmende individuelle Rechte, weniger Korruption, eine gewisse Demokratisierung, globale Vernetzungen, das Auftreten nicht-westlicher Akteure, zunehmende Arbeitsteilung und Handel, neue Infrastrukturen, neue Kommunikationstechnologien – die Ursachen sind vielschichtig. (Meine Erfahrung zur Korruption: Sie trennt und segregiert Gesellschaften, in die die korrupt sind und die, die es nicht sind. Die erste Gruppe ist ein Riesenproblem, aber die zweite Gruppe spielt in immer mehr Ländern eine immer wichtigere Rolle.)

      Die Entwicklungshilfe muss sich auf die neuen Realitäten einstellen. Ich meine, wir müssen sie „überwinden“. Zu allererst müssen wir unser Bild von Afrika und den Afrikanern ändern. Dann werden wir sehen, wie unangebracht unser „Hilfsdenken“ in vielen Situationen ist. Und dann könnten wir aus unserer Entwicklungspolitik endlich eine Zusammenarbeitspolitik machen. „Von Menschen zu Menschen“, ganz nach dem Motto von Karlheinz Böhm.

  3. Das Kind nicht mit dem Bad ausschütten

    von THOMAS VOGEL

    Hans Stoisser plädiert für die Abschaffung der „Entwicklungshilfe“. Die Welt habe sich verändert, die Länder Afrikas seien in die Weltwirtschaft eingebunden, globale Konsum-, Erwerbs- und Kommunikationsmuster prägten das Leben in afrikanischen Städten, daher seien kommerzielle Investitionen die Zukunft.

    Das ist leider nur teilweise richtig. Es stimmt, die Volkswirtschaften Afrikas verzeichnen schöne Wachstumsraten. Doch Wachstum ist nicht gleich Entwicklung. … Die Geschichte hat … gezeigt, dass dynamisches Wirtschaftswachstum durchaus mit langfristiger Massenverelendung einhergehen kann. Die meisten absolut Armen leben heute nicht in den ärmsten Ländern, sondern in den Schwellenländern, in denen die Wirtschaft in ausgewählten Sektoren boomt.

    Hans Stoisser erkennt den „autoritären staatskapitalistischen Praktiken Asiens“ eine größere Vorbildrolle für die afrikanischen Länder zu als den humanistisch und demokratisch geprägten europäischen. Um volkswirtschaftliche Kennzahlen nach oben zu treiben, mag das
    schon der effizienteste Weg sein. Nur: In über 50 Jahren Entwicklungsforschung hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass nachhaltige Entwicklung auch Ziele wie soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Ökologie, Demokratie, etc. beinhalten muss.

    Stoisser kritisiert zu Recht die paternalistischen Strukturen der „Entwicklungshilfe“, die
    Abhängigkeitsverhältnisse zementiert und den Hilfsempfängern die Würde nimmt. Doch wenngleich solche Praktiken nie ganz verschwinden werden, sind sie heute nicht mehr repräsentativ für die professionelle Entwicklungszusammenarbeit. Es geht längst nicht mehr darum, Almosen zu verteilen. …

    Sie einfach abzuschaffen, wie von vielen Kritikern gefordert, hieße jedoch, das Kind mit dem Bade auszuschütten …

    voller Beitrag hier: http://derstandard.at/2000001908659/Das-Kind-nicht-mit-dem-Bad-ausschuetten

    • Ich plädiere für eine „Überwindung“ der Entwicklungshilfe und nicht für eine sofortige Abschaffung. Der Unterschied ist der Zeitfaktor – nicht sofort und unmittelbar – und vor allem dass es mir um eine Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen den europäischen und afrikanischen Staaten und den Menschen dahinter geht. Wir – die Europäer – müssen die Helferrolle und das Hilfsdenken „überwinden“. Nur dann können wir in einer globalisierten Welt auf Augenhöhe kommunizieren und zusammenarbeiten.

      Wenn heute die meisten Armen in nicht mehr ganz so armen Schwellenländern leben heißt das doch, dass sich die Verantwortlichkeiten für Armutsbekämpfung weg von internationaler Entwicklungshilfe hin zur nationalen Ebene verlagern müssen. Nicht nur weil lokale und weniger zentralistische Lösungen wirksamer sind, auch weil es um die angesprochene Ungleichverteilung geht. Die heute neureichen Eliten sollen ihren Beitrag zur Entwicklung ihrer Länder leisten und können diese nicht auf Dauer an die offizielle internationale Entwicklungshilfe delegieren.

      Keinesfalls plädiere ich für eine „Vorbildrolle“ der autoritären staatskapitalistischen asiatischen Gesellschaftsmodelle. Das ist ein Missverständnis. Ich diagnostiziere lediglich, dass heute in vielen afrikanischen Ländern China mehr Vorbild ist als Europa. Ganz im Gegenteil schreibe und argumentiere ich für eine offensive Verbreitung humanistischer europäischer Werte. Gerade in Zeiten fortschreitender Globalisierung gilt es die „offene Gesellschaft“ zu verteidigen. Ich meine, dass wir offensiv das humanistisch europäische Gesellschaftsmodell anbieten und verbreiten sollten. – In Verkennung der Realitäten am afrikanischen Kontinent wird aber genau das als „neo-kolonialistisch“ kritisiert.

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