Afrikapolitik ohne europäische Identität

 

Alle großen Machtblöcke dieser Welt wissen wer sie sind und was sie wollen. Sie besitzen eine klare eigene Identität. China, die USA, Brasilien, Russland, auch Indien oder die arabischen Länder. Nur Europa tut sich schwer zu wissen was es ist und was es will. Die europäische Identität ist nicht zu fassen. Das ist fatal für die derzeitige europäische Politik in Afrika.

„Europa befindet sich heute … in einer Krise, weil es nicht weiß, was es ist, und weil es ihm nicht gelingt oder weil es nicht versucht, seine Identität genauer zu definieren,“ sagt Julia Kristeva in einem Interview in der FAZ. (FAZ Julia Kristeva)

Afrika, Addis Abeba. Europa pumpt jährlich hunderte Millionen von Euro in die äthiopische Wirtschaft und Gesellschaft. Mit gutem Grund und hehrem Ziel. Das gleiche tun zum Beispiel auch China und die USA. Die chinesische Führung verfolgt dabei klare Ziele. Aufträge für chinesische Unternehmen, Verkauf chinesischer Produkte, Immigration chinesischer Arbeiter, Klein- und Großunternehmer, Gründung lokaler chinesischer Gesellschaften, vielfältiger Infrastrukturaufbau und Wirtschaftskooperation zu beiderseitigem Vorteil. Und insgesamt und vor allem: Vermittlung chinesischer Politik, Ideologie und Werte. Speziell in Äthiopien, das immer mehr dem chinesischen Entwicklungsmodell folgt.

Auch die USA weiß was sie will. Lineare militärisch-strategische Ziele, nicht immer sehr einfühlsam, aber mit klarer Ausrichtung und wirksam.

Und Europa? Ein großer Teil der Gelder wird „neutralisiert“ und den Budgets und der Verfügungsgewalt lokaler Behörden übergeben, begleitet zwar von einem politischen Dialog, aber wie so oft im diplomatische Kontext, wenig wirksam und zumeist frustrierend. In der europäischen Entwicklungspolitik ist es noch immer verpönt die eigenen Interessen offen einfließen zu lassen oder gar an ein bewusstes Vermitteln europäischer Werte zu denken.

Beispiele aus Äthiopien? Deutschland finanziert den Aufbau von Universitäten. Ein großartiges Projekt. Aber in einer wird jetzt auf Wunsch der Äthiopier ein Rektor aus Singapur finanziert. Dieser bringt jetzt nicht nur Unternehmen aus Singapur nach Äthiopien, sondern vermittelt naturgemäß auch das Politikverständnis und Werte des asiatischen Inselstaates. Die EU finanziert den Aufbau einer äthiopisch-europäischen Business Schule. Eigentlich eine gute Idee, hier könnten zB im Bereich der Managementausbildung europäische Werte vermittelt werden. Ein humanistisches Menschenbild, emanzipierte und offene Kommunikation, Kundenutzen statt Gewinnmaximierung. Durchaus auch als bewusste Alternative zur chinesischen Geringschätzung des Individuums oder zur amerikanischen Gewinnfixierung. Doch was passiert? Auch dieses Projekt wird „neutralisiert“, wertfrei gemacht, öffentlich ausgeschrieben, multilateral verhandelt, bis vom Inhalt nicht mehr viel übrig bleibt.

Ja, ganz nach Julia Kristeva – ohne Aufarbeitung des schlechten Gewissens des Kolonialismus tut sich Europa schwer, zu dem zu stehen was es ist und das zu vermitteln, was es kann.

 

2 Kommentare

  1. Europäische Entwicklungszusammenarbeit unterscheidet sich von der
    chinesischen im wesentlichen dadruch, dass sie einer demokratischen Legtimation
    bedarf – das heißt, dass es in den Geberländern einen Konsens darüber geben
    muss, dass Geld aus dem Staatshaushalt für andere Ländern abgezweigt wird.
    Dieser Konsens ist vorhanden, doch setzt er sich aus einer Vielzahl von Interessen
    zusammmen. Manche haben rein humanitäre Ziele vor Augen, andere wollen eine
    koloniale Schuld abtragen, die Klimakatstrophe verhindern oder dem Zustrom von
    Migranten vorbeugen. Viele Menschen unterstützen Entwicklungszusammenarbeit aus
    kulturellen Motiven – weil sie andere Kulturen schätzen. Es gibt aber auch
    Gruppen, die ein professionelles Interesse haben, Lieferanten von Gütern und
    Dienstleistungen oder Menschen, die in Institutionen und Abwicklungsagenturen
    tätig sind. Diese heterogene Interessenskoalition macht es möglich, dass aus
    den europäischen Ländern beträchtliche Mittel in Entwicklungsländer fließen. Wenn
    man nun fordert, dass bei der Mittelvergabe auch die Interessen der Geber deutlicher
    zum Ausdruck kommen – wessen Interessen wären das dann?

    • Wessen Interessen? Europas!

      Zunächst, die Diversität der Interessen und deren demokratische Legitimation bei Vergabe öffentlicher Mittel ist wichtig und letzteres der große Unterschied zu einem autoritären staatskapitalistischen System. Trotzdem verlangt eine europäische Entwicklungszusammenarbeit – zumindest die mit öffentlichen Mitteln finanzierte – nach einer dahinter liegenden „Identität“. Einer grundsätzlichen Übereinstimmung zu Zweck, Ziel und Weg. Alles andere würde zu Verschwendung führen und in Belanglosigkeit enden.

      Diese Identität scheint mir aber in den letzten Jahren immer mehr abhanden zu kommen. Je mehr nach „Driver Seat“, „Alinement“, „Geberkoordination“, usw. gerufen wird, umso mehr steckt Unbestimmtheit, Unentschlossenheit und wohl auch Ratlosigkeit dahinter.

      Natürlich ist dies auch eine Folge der Krise in Europa. Erst wenn wieder klar ist, wohin der Weg insgesamt geht, politisch wie wirtschaftlich, kann auch die offizielle europäische Afrikapolitik wieder Identität gewinnen.

      Und wohl erst dann wird man sehen, dass zum Beispiel der Aufbau einer Managementschule in Addis auch ein Weltbild transportiert hat und dass es für Europa wichtig gewesen wäre, dieses Weltbild mit zu gestalten. Unternehmen, die Werte für Kunden schaffen statt kurzfristig Gewinne maximieren, pluralistische Rahmenbedingungen statt autoritäres Steuern – das alles sind europäische Interessen, die derzeit formellen und vermeintlich „partizipativen“ Programmstrukturen untergeordnet werden.

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