HANS STOISSER
Das Big Picture hinter der Flüchtlingskrise: eine globale Gesellschaft entsteht
Am 2. November erscheint mein Buch „Der schwarze Tiger – was wir von Afrika lernen können„. Ich beschreibe darin was hinter der erstaunlichen Entwicklung vieler afrikanischer Länder steht. Ein wichtiger Kontext für die aktuelle Flüchtlingskrise.
Flüchtlingskrise
„Ich möchte jetzt die Zahlen nicht verändern“, sagt der deutsche Innenminister. „Als ich 800.000 gesagt habe, da hieß es in Afghanistan, Deutschland führt eine Quote ein. (…) Alles … führt zu einer merkwürdigen psychologischen Wirkung.“
Es geht um die Anzahl der Flüchtlinge, die Deutschland in diesem Jahr aufnehmen wird. Der deutsche Vizekanzler hatte eine Million genannt. Der Innenminister bleibt aber bei seinen 800.000. Aber nicht weil er dies glaubt, sondern weil er eine Message an die potenziellen Zuwanderer senden will.
Neue vernetzte Welt
Die Syrien Krise hat in Europa das Fass zum Überlaufen gebracht und die Flüchtlings- und Migrationsströme der Welt für uns alle sichtbar gemacht. Täglich strömen derzeit tausende Menschen in unser Land und machen uns bewusst, was Globalisierung bedeuten kann. Ganz plötzlich sehen wir uns in eine neue Welt katapultiert.
Dahinter stehen die immer dichteren globalen Wertschöpfungsnetzwerke und Transportinfrastrukturen. Und der technologische Fortschritt mit der Digitalisierung und den immer umfassenderen Kommunikationsnetzwerkn. Im Zusammenwirken ermöglichen sie Zugänge zu Echtzeitinformationen und eine bisher nicht für möglich gehaltene Mobilität.
Mit dem Resultat, dass sich die Welt in ein …
… komplexes, sich selbstorganisierendes soziales System …
… verwandelt hat. Zentrale Steuerung ist nicht mehr möglich.
Die politischen Institutionen tun sich schwer, wurden dafür auch nicht geschaffen und sind überfordert. Eine global Governance gibt es nicht, die European Governance funktioniert nicht. Weil zum Beispiel ein Staat, Ungarn, auf nationalistisch macht. Oder ein anderer mit einer agilen Willkommenskultur alleine bleibt und sich dabei womöglich selbst überfordert.
Wir erinnern uns …
… “nein, dahinter stehen die mit den leistungsfähigsten Computern der Welt gebauten mathematischen Modelle”, entgegneten die Finanzwirtschaftler auf die Frage, ob uns die neuen Finanzprodukte nicht über den Kopf wachsen können. “Sie wurden von den besten Mathematikern der Welt geschaffen!” – Das war vor 2007 und vor dem Zusammenbruch des US-Subprime Häusermarktes, der Pleite von Lehman Brothers und dem darauf folgenden Beinahezusammenbruchs des globalen Finanzsystems.
Auch dafür waren die politischen Institutionen nicht geschaffen. Heute befindet sich die westliche Welt im achten Jahr der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit der großen Depression.
Das selbe Phänomen
Beides, die Krise Europas mit den Flüchtlingsströmen und die Finanzkrise sind Teil und Folge einer gemeinsamen, übergeordneten Entwicklung, die wir als eine neue Entwicklungsstufe der Menschheit sehen können. Es ist das …
… Zusammenrücken und Entstehen einer globalen Gesellschaft.
1960 lebten 3 Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Seit 2012 sind es über 7 Milliarden und in wenigen Jahrzehnten werden es 9 Milliarden sein.
Machen wir uns bewusst, dass schon bisher die materielle Versorgung von immer mehr Erdenbewohner nur durch laufenden technischen Fortschritt und eine stetig zunehmende Arbeitsteilung und Vernetzung möglich gewesen ist.
In der heutigen Entwicklungsstufe haben diese Vernetzungen und Verflechtungen globale Ausmaße angenommen. Alles hängt mit allem zusammen.
Allen Versuchen einzelner Nationalstaaten und nationalistischer Politiker zum Trotz, ist eine weitere gedeihliche Entwicklung der Menschheit ohne weiterer Zunahme der globalen Vernetzung und Verflechtungen unmöglich.
Denn nur so kann die Welt heute 7 Milliarden Menschen ernähren. Und wird der materielle Wohlstand von zukünftigen 9 Milliarden Menschen ermöglicht. Und nur so haben wir eine Chance, die globalen Ressourcen-, Umwelt und Klimaprobleme in den Griff zu bekommen.
Die Globalisierung kann nicht zurückgefahren werden.
Aber wie wir sie gestalten, kann beeinflusst werden.
Das ist das big picture, auch für die aktuelle Flüchtlingskrise.