Afrika 3.0 und Europas Chance

Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich viel verändert in Afrika. Wenn das koloniale Afrika die erste bestimmende Phase der Neuzeit war, war die post-koloniale Zeit eine zweite. Diese musste zwangsläufig Bezug nehmen auf die Kolonialisierung, Entrechtung und Unterdrückung. Mit der Erkenntnis aber, dass diese Phase selbst Unrechtsregime hervorgebracht hat und mit der gleichzeitig fortschreitenden Globalisierung ist Afrika in eine neue Phase getreten.

Afrika 3.0 ist das Afrika, in dem sich seine Bewohner nicht zu allererst als Opfer der Kolonialisierung sehen, sondern als Teil einer globalen Weltgesellschaft, die sie mitgestalten.

Mein Kommentar dazu, erschienen am 7.2.2014 im Standard:

Afrika 3.0 und Europas Chance

Europa sollte endlich seine Chancen auf diesem wachsenden Kontinent wahrnehmen

In Afrika wohnen derzeit eine Milliarde Menschen. Die Wirtschaftsleistung der 54 afrikanischen Länder hat sich laut IWF seit 2000 inflationsbereinigt knapp verdoppelt, das Prokopfeinkommen ist allein in den ärmeren 49 Ländern südlich der Sahara von 1380 auf 2580 US-Dollar pro Jahr gestiegen.

In absoluten Zahlen bewegt sich die Wirtschaft noch auf niedrigem Niveau, doch die Veränderungen geschehen rasant. Noch 1990 war die nominelle Wirtschaftsleistung allein Deutschlands fünfmal so groß wie die des gesamten afrikanischen Kontinents. 2009 war sie nur mehr doppelt so groß, in wenigen Jahren wird Gleichstand erreicht sein.

Raus aus der Opferrolle

Neben den nordafrikanischen Staaten entwickeln sich zumindest 23 Länder Subsahara Afrikas vielversprechend. Ghana, Sambia, Ruanda, Mosambik oder Äthiopien weisen beeindruckende Wachstumszahlen auf. Hinzu kommen die neun boomenden erdölexportierenden Länder, allen voran Nigeria und Angola.

Seit Mitte der 1990er-Jahre hat sich viel verändert in Afrika. In Afrika 3.0 sehen sich seine Bewohner nicht zuallererst als Opfer der Kolonialisierung, sondern als Teil einer globalen Weltgesellschaft, die sie mitgestalten. Eine neue Generation von Politikern, Unternehmern und Managern ist in die Führungspositionen gerückt. Es gibt mehr verantwortliche Regierungen, sensiblere Wirtschaftspolitik, ein Ende der jahrzehntelangen Schuldenkrise.

Das Auftreten der nichtwestlichen Staaten, allen voran China, Indien und Brasilien, war mit ein Auslöser für den Entwicklungsschub. Immer mehr ihrer Unternehmen machen jetzt gute Geschäfte in Afrika. Zum Vorteil beider Seiten. Neben Waren und Dienstleistungen sind es auch Ideen, die Afrika verändert haben.

China hat nicht nur seine Billigwaren, sondern auch sein autoritäres staatskapitalistisches System exportiert. Der chinesische Weg der Liberalisierung weiter Bereiche der Wirtschaft bei gleichzeitig strikter politischer Überwachung funktioniert offenbar genau dann recht gut, wenn es um die Überführung von archaisch-ländlichen Gesellschaften in moderne Wirtschaftsstrukturen geht. Äthiopien ist der größte Importeur dieser chinesischen Ideen.

Das zweite dominierende Wirtschaftsmodell ist das angelsächsische Shareholder-Value-Denken. Gewinn ist der Zweck von Wirtschaften, Gewinnmaximierung die Maxime. Amerikanisch inspirierte MBA-Ausbildungen sind auch in afrikanischen Ländern in voller Blüte. Viele der neureichen Afrikaner folgen diesen Prinzipien und sehen ihren Reichtum durch dieses Denken zusätzlich legitimiert.

Europa hat derzeit nur geringen Einfluss auf die Ideenwelt Afrikas. Obwohl es insgesamt mit seiner offiziellen Entwicklungshilfe der größte Geldgeber ist. Doch die „politisch korrekten“, aber bürokratisch vorgetragenen Anliegen – von Armutsreduktion, Gender Gleichheit, über Klima und Umweltschutz bis HIV/Aids-Aufklärung – werden von Afrikanern zunehmend als lästig empfunden.

Dabei gibt es ein global sehr erfolgreiches europäisches Wirtschaftsmodell, das still und leise die Welt verändert. Allein im deutschsprachigen Raum sind mehr als 1500 Unternehmen Weltmarktführer in ganz bestimmten Marktnischen. Sie alle haben den Globalisierungsschub der vergangenen Jahrzehnte genutzt und exportieren jetzt „Kundenutzen“ in die Welt. Ihr Handeln ist nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet, sondern auf Verstehen ganz bestimmter Problemlagen und das Liefern von innovativen Lösungsmöglichkeiten.

Handeln statt verwalten, Geschäfte statt Bürokratieaufbau – damit haben China und Co Afrika verändert. Währenddessen sind viele Vorhaben der westlichen Entwicklungshilfe in der Endlosschleife von Planen, Erstellen von Studien, Assessments, Workshops und wieder Planen hängengeblieben.

Jetzt sind die europäischen Unternehmen an der Reihe, ihren Entwicklungsbeitrag für Afrika zu leisten und gleichzeitig den Platz Europas in der Ideengeschichte der Globalisierung zu festigen! (Hans Stoisser, DER STANDARD, 7.2.2014)

 

 

 

 

3 Kommentare

  1. Armutsreduktion, Gender Gleichheit, Klima und Umweltschutz und HIV/Aids-Aufklärung sind den lokalen Machthaber/innen tatsächlich „lästig“. Die damit verbundenen Maßnahmen haben aber vielen Menschen in Afrika das Leben gerettet und tragen dazu bei, dass sie sich wirtschaftlich und politisch auf eigene Beine – und letztlich auch der chinesischen Dominanz entgegen stellen können. Man sollte nicht aus Frust darüber, wie die europäischen Programme mitunter durchgeführt werden, deren Ziele diskreditieren. Europäische Demokratien müssen ihre Unterstützungsleistungen im Ausland über einen Grundkonses der Steuerzahler/innen legitimieren, und der lautet: Armutsreduktion, Gender….

    • Sehr guter Einwand! Es ist das „Wie“ der europäischen Außen- und Entwicklungspolitik. Hohe Summen werden für Entwicklungshilfe eingesetzt, aber von lokalen Entscheidungsträgern werden die vereinbarten Ziele und Werte als lästig empfunden. Projekte und Programme „funktionieren“ immer weniger. Die offizielle Entwicklungshilfe (ODA – official development assistance) hat ihren Zenit überschritten, neue Rahmenbedingungen erfordern andere Arten von Kooperationen. Bei den einseitige Hilfsleistungen wird so getan, als ob der einzelne afrikanische Staat keine Alternativen hätte oder das europäische Geberland keine eigenen Interessen hätte. Beides ist nicht der Fall. Es bedarf neuer Kooperationsformen mit offenem Interessensausgleich und auf Augenhöhe. – Die Chinesen, Brasilianer und Inder machen es uns vor!

  2. Ja es gibt Fortschritte, aber nur in sehr wenigen Staaten

    Das größte Hindernis auf dem Weg zu Wohlstand sind Politiker, die sich einer Rechenschaftspflicht durch demokratische Institutionen entziehen. Untereinander machen die afrikanischen Staaten kaum Geschäfte. Afrikaner benötigen für zwei Drittel der afrikanischen Staaten Einreisebewilligungen; Visa können nur in einer Handvoll von Ländern bei der Einreise am Flughafen beschafft werden.Selbst Aliko Dangote braucht in 38 Ländern ein Visum.Bürokratische Hürden gehören zu den häufigsten Klagen transnationaler afrikanischer Investoren. Die Industrialisierung auf dem Kontinent kommt nur schleppend voran, die Landwirtschaft kann nicht einmal den Bedarf der eigenen Bevölkerung decken.Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor „Afrika wird armregiert“

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