Konjunkturpaket – welche Wirtschaft schafft eigentlich Arbeitsplätze?

Konjunkturpaket der österreichischen Bundesregierung. Innerhalb weniger Tage wurden zusätzliche Ausgaben von 800 Millionen Euro beschlossen. Anlass war die Unternehmenspleite des drittgrößten österreichischen Baukonzerns, die den drohenden Verlust von 10.000 Arbeitsplätzen bedeuten könnte. Doch wer schafft und sichert eigentlich wirklich die Arbeitsplätze? Die Ausgaben der Bundesregierung und die verschuldete Bauwirtschaft sind es nicht. 

Nach Bekanntwerden der Pleite des drittgrößten österreichischen Baukonzerns ALPINE, die den Verlust von 10.000 Arbeitsplätzen nach sich ziehen könnte, hat die österreichische Regierung innerhalb von nur wenigen Tagen zusätzliche Ausgaben in Höhe von 800 Millionen Euro (1,5 Milliarden Euro werden angeführt, davon waren aber 700 Millionen Euro bereits geplant) beschlossen. Damit sollen Arbeitsplätze gesichert und die Wirtschaftskonjunktur angekurbelt werden.

Gratulation der Regierung zur Geschwindigkeit. Doch was, wenn die Wirtschaft anders funktioniert als gedacht? Wenn es doch die Struktur unserer Wirtschaft ist, die den Engpass bei der Schaffung von Arbeitsplätzen darstellt?

Die Wirtschaftskammer, die ja in Österreich zusammen mit der Arbeiterkammer integraler Bestandteil des wirtschaftspolitischen Denkens der Bundesregierung ist, müsste es eigentlich besser wissen. Nur wenige Tage vor der ALPINE Pleite wurden auf einer ihrer Veranstaltungen „Die Erfolgsfaktoren der Hidden Champions“ vom Grazer FH-Professor Georg Jungwirth präsentiert. Als „Hidden Champions“ werden nach dem Modell vom deutschen Managementdenkers Hermann Simon die mittelständischen Unternehmen bezeichnet, die in ihrer Marktnische eine globale oder zumindest europäische marktbeherrschende Stellung haben.

Laut Jungwirth fallen in Österreich zumindest 250 Unternehmen in diese Kategorie, 190 davon sind mittelständisch mit einem Umsatz bis 200 Millionen Euro. Zum Beispiel produziert die Firma Schiebel Minensuchgeräte, die Firma Orderman Funkboniermaschinen, die Firma Binder Receyclingmaschinen, die Firma Teufelberger Stahlseile, die Firma König Backmaschinen und allen ist gemeinsam, dass sie die Probleme ihrer Kunden bis ins letzte Detail kennen, an hoch innovativen Lösungen arbeiten, überdurchschnittlich viel in Forschung und Entwicklung investieren und die für ihre Zwecke kompetentesten Mitarbeiter haben. Trotz der Krise wachsen diese Unternehmen und während knapp die Hälfte aller österreichischen Unternehmen eine negative Eigenkapitalausstattung besitzt, haben „Hidden Champions“ eine durchschnittliche Eigenkapitalquote von 44%!

Hidden Champions funktionieren anders und sind offensichtlich Teil einer anderen Wirtschaft als ALPINE und Co. Sie sehen den Zweck ihres Tuns nicht im Gewinne maximieren (bzw. Verluste und Verschuldung minimieren), sondern im Lösen von Kundenproblemen. Der Bäckereimaschinenbauer kennt die Probleme auch der chinesischen Bäcker so gut wie kein anderer, der Produzent der Drahtseile die der Seilbahnbetreiber auch in Lateinamerika. Genau deswegen sind diese Unternehmen immer wieder in der Lage, neue innovative Lösungen anzubieten und Aufträge auf der ganzen Welt zu akquirieren.

Ganz anders die Bauwirtschaft der ALPINE. Dahinter steht noch immer das Credo der „alten Wirtschaft“ der 1980er und 1990er Jahre. Das aus den USA übernommene „Shareholder Value“ Denken hat ja das Maximieren des eigenen Unternehmenswertes als übergeordnetes Prinzip postuliert, zum Wohl der Unternehmenseigentümer und zum angeblichen Wohl der Allgemeinheit. Aber es hat sich gezeigt, dass sich Unternehmen allein von der Bilanz her langfristig nicht erfolgreich führen lassen. Die kurzfristige Gewinnmaximierung hat letztendlich den Grundstein für die Exzesse und den Beinahe-Zusammenbruch des Finanzsystems und für die Krise gelegt, die wir seit 2007 erleben.

Damit existieren derzeit zwei grundsätzlich unterschiedlich funktionierende Realwirtschaften parallel nebeneinander (die von der Realwirtschaft abgehobene Finanzwirtschaft wäre eine dritte Kategorie), die neue Wirtschaft des 21. Jahrhunderts, der die Krise nichts anhaben kann, und die alte Wirtschaft der 1980er und 1990er Jahre, die der Krise in einem immer größeren Ausmaß zum Opfer fällt.

In der neuen Wirtschaft stehen die Kunden und deren Bedürfnisse im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Hidden Champions orientieren sich am „lösungsunabhängigem Kundenproblem“, erschaffen sich und die Kunden immer wieder aufs Neue und nutzen dazu die neuen „Komplexitäten“ unserer globalisierten Welt. Finanzkennzahlen wie Gewinn, Cash-flow oder Eigenkapital sind keine direkten Zielgrößen, sondern werden als „Constraints“, als notwendige Bedingungen gesehen. Der Gewinn muss einfach groß genug sein, um am Markt überleben zu können. Er ist kein Selbstzweck, sondern Bestätigung für richtiges Handeln. Die alte Wirtschaft hingegen hat all ihr Handeln an den Finanzkennzahlen ausgerichtet und ist genau deswegen nicht mehr in der Lage, zufriedenstellende Zahlen zu liefern. Sie ist in die Falle getappt indem sie kurzfristige Gewinnorientierung langfristiger Kundenorientierung übergeordnet hat.

Es ist auch die absolute Kundenorientierung, die der neuen Wirtschaft unabdingbar eine Anpassung an die sich verändernden Gegebenheit der globalisierten Welt abverlangt, an die im Entstehen begriffene neue Weltordnung, an den globalen Wettbewerb, an die Wissensgesellschaft, an die globalen Kommunikationsnetzwerke und an die jetzt dominierenden Käufermärkte. Die alte Wirtschaft hingegen ist überschuldet und hat für diese Anpassung keinen Spielraum mehr.

Die neue Wirtschaft managt die zunehmende Komplexität der Welt und setzt auf selbstorganisierte Einheiten, dynamische Vorgehensweisen, Werte, vielschichtige nach außen gerichtete Kommunikation und Feedbackschleifen zur Außenwelt. Die alte Wirtschaft bleibt eindimensional den Bilanzen verhaftet, belässt ihre Top-down Hierarchien und verfolgt notgedrungen Cost-cutting Strategien.

Allein die 240 österreichischen Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung in ihrer jeweiligen Marktnische beschäftigen grob geschätzt 130.000 Mitarbeiter. Wenn diese Unternehmen mit konservativ geschätzten 7% jährlich wachsen, sind das jährlich zusätzliche 9000 Arbeitsplätze. Etwa so viele, wie jetzt bei der ALPINE Pleite am Spiel stehen. Aber zu diesen 240 Unternehmen kommen noch die vielen anderen hinzu, die noch keine Weltmarktposition haben, die vielleicht am Weg dorthin sind oder die einfach in kleinerem Maße erfolgreich sind und auch so Werte für Kunden schaffen.

Wirtschafspolitisches Komplexitätsmanagement ist auch die Suche nach einem Hebel, bei dem mit möglichst kleinen Interventionen ein möglichst großer Effekt erzielt werden kann. Wie könnten für die „neue Wirtschaft“ zusätzliche 800 Millionen Euro so eingesetzt werden, dass eigendynamische Kreisläufe in Gang gesetzt werden und ganz automatisch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden? Um die ALPINE Pleite zu kompensieren, genügt ohne Zweifel ein viel geringerer Betrag. Es ginge nicht um ein Konjunkturpaket, sondern wahrscheinlich um ein Strukturpaket mit Interventionen in die verfahrenen, verkrusteten und vertrackten Bereiche des Bildungs- und Ausbildungswesens, des Arbeitsrechts, des Steuerrechts (Lohnnebenkosten). Schade. Es wäre aber jedenfalls billiger als Ausgaben für die alte Bauwirtschaft. Ausgaben mit dem kleinstmöglichen Hebel.

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