Hidden Champions – Europas versteckter Beitrag zur Entwicklung der Welt

Das zentraleuropäische Wirtschaftsmodell der Hidden Champions stellt für die weitere globale Wirtschaftsentwicklung eine wichtige Alternative zum chinesischen Staatskapitalismus und zum US-amerikanischen Shareholder Value Kapitalismus dar. Europa könnte mit einer Verbreitung dieses Konzepts und dessen Umsetzung auf globaler Ebene einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der brennendsten globalen Probleme wie Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen und Klimaänderung leisten. Noch fehlt es allerdings an einer Ausformulierung der Idee und an Öffentlichkeit und Publicity.

Sind die Chinesen die neuen Kolonisatoren in Afrika? Sind sie dabei die Rohstoffe des Kontinents bedenkenlos auszubeuten und mit ihrer Finanzmacht einzelne afrikanische Länder in langfristige Abhängigkeiten zu stürzen? – Es ist schwierig geworden, die Entwicklungen der Welt zu deuten. Während vor allem die Europäer das chinesische Engagement in Afrika heftig kritisieren und publikumswirksame Ereignisse diese Kritik unterstreichen, zB die Ausweisung der chinesischen Goldgräber aus Ghana, hat China vielen afrikanischen Ländern zu einem entscheidenden Entwicklungsschub verholfen.

Denn es waren die Chinesen, die in Äthiopien, Ghana, Mosambik, Angola und vielen anderen afrikanischen Ländern groß angelegte Infrastrukturen wie Straßen, Eisenbahnen, Häfen, Flughäfen oder Regierungsgebäude tatsächlich und in kürzester Zeit errichteten. Und es sind Chinesen, die jetzt viele neue Produktionen in Afrika aufbauen – Schuh-, Möbel-, Plastikfabriken, usw. – und damit wieder einen entscheidenden Entwicklungsengpass beseitigen helfen. Auch wenn all diese Investitionen nicht unbedingt den westlichen Vorstellungen von Funktion und Qualität entsprechen, sie waren eine wichtige Basis für die erfolgreiche Entwicklung Afrikas der letzten zehn bis fünfzehn Jahren.

Wirtschaftsmodelle in der Umbruchphase

Die globalen Rahmenbedingungen sind im Umbruch. Eine Deutung der Ereignisse muss zumindest die folgenden Veränderungen zum Ausgangspunkt nehmen:

  1. Nach dem Aufkommen der westlichen Weltdominanz im 15. Jahrhundert und nach der US-amerikanischen Vorherrschaft seit dem späten 19. Jahrhundert erleben wir gerade die dritte große Machtverschiebung der Neuzeit – den Aufstieg der restlichen Länder und das Entstehen einer echten globalisierten Welt (Fareed Zakaria). Weltweite wirtschaftliche Entwicklung ist erstmals möglich.
  2. Wissen und die Produktivität des Wissens sind zum entscheidenden Machtfaktor geworden. Im Zeitalter der Wissensgesellschaft gibt es keine unterentwickelten Länder mehr, nur schlecht gemanagte! (Peter Drucker)
  3. Mit der rigorosen Verbreitung der Kommunikationsnetzwerke hat sich auch in der Realwirtschaft die Macht verschoben, vom Produzenten zum Konsumenten. Statt Verkäufermärkte dominieren heute Käufermärkte.
  4. Das Aufblähen und „Leveragen“ des Finanzsektors hat die westlichen Länder seit 2007 in eine systemische Wirtschaftskrise gestürzt, die längst schon eine politische ist. Wirtschaftliche Stagnation im Westen steht eine florierende Wirtschaft im Rest der Welt gegenüber.
  5. Der Höhepunkt des Zeitalters fossiler Energieträger ist überschritten. Die Menschheit versucht die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Klima einzudämmen und ist auf der Suche nach neuen Energie-, Wirtschafts- und Gesellschaftsformen.

In dieser Umbruchsphase agieren die globalen Machtblöcke mit unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen und sind damit unterschiedlich erfolgreich.

Mit der Eroberung der Weltmärkte durch die Chinesen verbreitet sich ganz automatisch auch das chinesische staatskapitalistische Wirtschaftsmodell. Gekennzeichnet durch autoritäre staatliche Politik und Überwachung bei gleichzeitiger Liberalisierung genau eingegrenzter Wirtschaftssektoren, gelingt wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstandsvermehrung. Vor allem wenn jahrhundertealte archaisch ländliche Strukturen in das globale Wirtschaftssystem eingegliedert werden, ist dieses System erfolgreich. Und es ist attraktiv für traditionell autoritäre politische Systeme, denn es kombiniert die Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg mit der Aussicht auf eigene Machterhaltung. So setzt auch die Regierung des neunzig Millionen Einwohner Staates Äthiopien erfolgreich auf das chinesische Modell – in Wirtschaft und Politik.

Dem gegenüber steht das liberale angelsächsische Wirtschaftsmodell, heute vor allem in der US-amerikanische Ausprägung des Shareholder Value-Kapitalismus. Gewinnmaximierung bzw. Wertsteigerung des eigenen Unternehmens wird dabei als Zweck unternehmerischen Handelns gesehen. Eine MBA Ausbildung, die genau dieses zahlen- und bilanzorientierte Gewinnstreben in den Mittelpunkt stellt, haben mittlerweile Millionen von Menschen auf allen Kontinenten der Welt absolviert. Mit dem ungeheuren „Leveragen“ des Finanzsektors in den letzten zwanzig Jahren wurde dieses Denken besonders attraktiv, da es einer Vielzahl von Menschen eine bislang ungeahnte persönliche Vermögensvermehrung versprach. Und das in den „neureichen“ Gesellschaftsschichten der Aufbaugesellschaften immer wieder anzutreffende rücksichtslose Streben nach Gewinn und Reichtum erfährt durch dieses Denkmodell zusätzliche Legitimation.

Die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der nicht-westlichen Welt der letzten zwanzig Jahre wurde von diesen beiden Wirtschafts- und Denkmodellen geprägt. Staatskapitalistisches Agieren lokaler Regierungen und kurzfristiges Gewinnstreben regierungsnaher privater Akteure waren die Ankerpunkte.

Grenzen der Entwicklung

Diese wirtschaftliche Erfolgsgeschichte stößt nun an Grenzen – soziale, politische und wirtschaftliche. In den meisten Schwellenländern wurden die neuen zusätzlichen Möglichkeiten und Chancen der Globalisierung von wenigen regierungsnahen Privaten wahrgenommen. Eine Schicht von Neu- und Superreichen begegnet uns in Russland, China, der gesamten arabischen Welt, aber auch in Angola, Mosambik und vielen anderen afrikanischen Ländern. Eine – vor allem aus europäischer Sicht – ungeheuerliche Ungleichverteilung von Vermögen, Wohlstand und vor allem persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten ist entstanden. Und nicht nur in der arabischen Welt, auch in Ländern wie Angola, Mosambik, Äthiopien oder Nigeria wächst die Angst der Machthaber vor Unruhen und Umstürzen.

Neben den sozialen Grenzen werden die politischen derzeit in Ägypten aufgezeigt. Autoritäres Regieren bleibt autoritäres Regieren, auch wenn es demokratisch legitimiert ist. Es funktioniert nicht mehr in der globalisierten Welt der sozialen Medien und sonstigen Kommunikationsnetzwerke. Ein politischer Interessensausgleich verlangt heute mehr als das Dekreditieren von Entscheidungen. Demokratische Wahlen und ein Parteiensystem garantieren noch lange keine gedeihliche Entwicklung.

Hinzu kommen wirtschaftliche Grenzen. Das Zeitalter der fossilen Energieträger ist im Auslaufen. Das lineare Fortschreiben des Ressourcenverbrauchs wird nicht mehr lange möglich sein. Es besteht die Gefahr, dass jeder auf Erdöl, Erdgas oder Kohle aufgebaute wirtschaftliche Aufschwung gleich wieder von den vom Aufschwung ausgelösten Preissteigerungen dieser Energieträger erstickt wird. Eine langfristig gedeihliche Weltwirtschaftsentwicklung braucht Innovationen, vor allem im Bereich erneuerbarer Energieträger.

Europas Chance

Europas direkter Beitrag zur wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte der nicht-westlichen Welt war in den letzten Jahren eher marginal. Weder haben private Unternehmen im großen Ausmaß in Afrika oder anderen Schwellenländern investiert, noch war die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit trotz eines erheblichen Einsatzes finanzieller Mittel ein Treiber der Entwicklung.

Europa kann aber auf Erfahrungen, Denkmodelle, politische Systeme und Sozial- und Wirtschaftsordnungen verweisen, die ein wichtiger Beitrag zur weiteren globalen Entwicklung sein können. Denn die aufgezeigten Grenzen der globalen Entwicklung verlangen eine qualitativ höherwertige Form der Steuerung sozialer, politischer und wirtschaftlicher Prozesse. Und Europas Vielschichtigkeit und Unterschiedlichkeit, die im politischen Alltag so viele Probleme verursachen, haben solche Systeme entstehen lassen.

Im deutschsprachigen Europa wird man jetzt sofort an die sozialpartnerschaftlichen Strukturen denken, die über lange Zeit einen produktiven Ausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern schaffen konnten. Oder an die duale Berufsausbildung, lange ein Eckpfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung und sozialer Stabilität. Doch diese Systeme sind im Umbruch und haben sich noch nicht erfolgreich den neuen globalen Rahmenbedingungen gestellt.

Es gibt aber ein anderes erfolgreiches zentraleuropäisches Wirtschaftsmodell, das still und leise die Welt verändert. Zunächst hatte es auf die stabilen Verhältnisse der Sozialpartnerschaft und die aus der dualen Ausbildung hervorgegangenen Fachkräfte aufgebaut, kann aber mit diesen Systemen schon lange nicht mehr gleich gesetzt werden. Es ist eigenständig und ungeplant entstanden und hat sich längst internationalisiert und von den Rahmenbedingungen zuhause emanzipiert. Es ist der Ansatz der so genannten „Hidden-Champions“. Der deutsche Management Denker Hermann Simon hat nach jahrelanger Forschungsarbeit diesen Begriff auf Unternehmen angewandt, die Top-3 auf dem Weltmarkt oder Marktführer in Europa sind. Im deutschsprachigen Raum gibt es mehr 1500 solcher Unternehmen, allein in Österreich um die 200. Sie beschäftigen insgesamt etwa 5,6 Millionen Mitarbeiter und generieren geschätzte 900 Milliarden Euro an Umsatz.

Das kundenorientierte Hidden-Champions Wirtschaftsmodell führt zu einer qualitative höherwertigen Steuerung wirtschaftlicher Prozesse und ist die entscheidende Ergänzung für die weitere globale Wirtschaftsentwicklung. Es ist zukunftsgerichtet und entspricht den neuen Rahmenbedingungen der globalisierten Welt. Es stellt systemisch logisch den Kundennutzen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, ermöglicht ein Management der zunehmenden Komplexität und ist auf langfristige gesellschaftliche Wertschöpfung ausgerichtet.

Die Erfolge dieser Unternehmen sind natürlich höchst unterschiedlich begründet, doch gelten zwei Prinzipien für die meisten von ihnen:

  1. Absolute Kundenorientierung: Hidden Champions verfolgen die Strategie einer „sozialen Spezialisierung“. Sie fokussieren sich auf die Lösung ganz bestimmter Probleme ganz bestimmter Kunden. Weltweit. Es entstehen neue, hochinnovative Produkte und Leistungen, wichtige Beiträge zur weltweiten Entwicklung. Hidden Champions erobern den Weltmarkt und werden zu Marktführern in ganz speziellen Marktnischen.Laut einer Studie über Hidden Champions in Österreich von Georg Jungwirth, Campus 02 FH Graz, geht es immer um Qualitätsführerschaft, steht die Produktqualität im Vordergrund und wird überdurchschnittlich viel in Forschung und Entwicklung investiert. Resultat ist, dass zum Beispiel bei den analysierten österreichischen Unternehmen 97% der Kunden eine Wiederkaufsabsicht bekunden und 95% der Kunden das jeweilige Unternehmen weiterempfehlen würden.
  2. Modernes, komplexitätsgerechtes Management: Hidden Champions sind zumeist auf klare Werte, Ziele und Strategien ausgerichtet, kommunizieren offen nach innen und außen und greifen immer wieder auf selbstorganisierte Einheiten zurück. Dadurch sind effektives Kundenfeedback, iterative Vorgehensweisen, Arbeiten in Netzwerken und anderen komplexeren Organisationsformen möglich. Resultat ist, dass Hidden Champion in der Regel hochmotivierte und hochqualifizierte Mitarbeiter haben, mit ungleich weniger Krankenständen und auch in der Krise geringen Personalfluktuationen.

Hidden Champions – ein Beitrag zur Globalisierung

Die Veränderungen der globalen Rahmenbedingungen bedeuten vor allem zunehmende Verflechtungen und Vernetzungen, eine neue Qualität der Kommunikation und ein neues Niveau weltweiter Arbeitsteilung – kurz eine „Komplexifizierung“ (Fredmund Malik) der Verhältnisse. Der Umgang mit den neuen Verhältnissen erfordert Methoden und Denkmodelle auf einem höheren Steuerungsniveau. Eine auf Hidden Champions aufgebaute Wirtschaft ist ein solches System, denn es setzt auf „Selbststeuerung“. Der Treiber der Entwicklung ist „Kundenutzen“, das entsprechende Kundenfeedback steuert ganz automatisch. Anders als zum Beispiel bei der auf Shareholder Value aufgebauten Finanzwirtschaft entstehen kein sich aufschaukelnden Regelkreisläufe (Pyramidenspiele, Ponzi Schemata).

Damit ist das zentraleuropäische kundenorientierte Hidden-Champion-Modell im Zeitalter der globalen Umbrüche eine klare Alternative sowohl zum Kapitalmarkt-getriebenen US-amerikanischen Shareholder Value Ansatz  als auch zum derzeit erfolgreichen staatskapitalistischen chinesischen Modell:

  1. Das Hidden Champion Modell ist – wie das chinesische – langfristig ausgerichtet. Anders als das chinesische Modell ist es aber komplexitätsgerecht, denn es setzt dezentral bei den Unternehmen an und ermöglicht rasche Anpassungen an die sich ändernden Rahmenbedingungen. Moderne Unternehmen haben ein Management entwickelt, das mit den zunehmenden Verflechtungen und Vernetzungen der globalisierten Welt produktiv umgehen kann. Die Kundenfokussierung ist dabei der zentrale Angelpunkt.
  2. Stimmen die politischen Rahmenbedingungen, sind im Sinne der Hidden Champions aufgestellte Unternehmen in der Lage, wirksame neue Lösungen für globale öffentliche Güter wie Klimaerwärmung, Ressourcenverbrauch und Umweltschutz zu schaffen.
  3. Kundenfokussierung bedeutet auch immer eine Auseinandersetzung mit Werten. Abseits von Gewinnstreben und einseitiger monetärer Ausrichtung rückt daher eine viel breitere Ebene gesellschaftlichen Tuns in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Gesellschaftliche und humanistische Werte werden so Teil unternehmerischen Handelns.
  4. Ein auf realwirtschaftliche Inhalte ausgerichtetes Wirtschaftsmodell erleichtert den politischen Dialog und das Einbringen europäischer humanistischer Werte.
  5. Die Ausformulierung und Verbreitung eines (zentral)europäischen Wirtschaftsmodells steht im Interesse Europas. Europäische Unternehmen, die in der Regel qualitativ höherwertige und umweltschonendere Produkte und Leistungen anbieten, werden gefördert. Eine Verbreitung des Denkens lässt aber auch weltweit höherwertige und umweltschonendere Produktionen entstehen.
  6. Letztlich kann Europa auch das Modell der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit ohne schlechtes Gewissen fallen lassen, dabei Geld sparen und ein viel erfolgversprechenderes ganzheitliches Wirtschafsmodell für die Entwicklung der Welt anbieten.

China gestaltet und verändert derzeit die Welt. Die USA dominieren noch immer viele Bereiche und wissen vor allem, wie sie ihre Interessen durchsetzen. Europa hingegen tritt vor allem als Fürsprecher einer humanistischeren, „inklusiveren“ und energie- und umweltpolitisch nachhaltigeren Welt auf – ohne aber real allzu viel zu bewirken. Mit dem kundenorientierten Hidden Champions Wirtschaftsmodell könnte sich Europa aber politisch wieder in die Dynamiken der Weltwirtschaft einklinken und einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Welt leisten.

Dabei geht es aber auch um die Verbreitung eines anderen Denkmodells. Wirtschaften und Unternehmertum werden anders verstanden, Unternehmen wieder als „gesellschaftliche Institutionen“ (Peter Drucker) wahrgenommen. Es bedarf eines anderen Ansatzes bei der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen. Bisheriges – im Zuge der Krise gehäuft aufgetretenes – Staatsversagen und Marktversagen sind aufzuzeigen. Notwendige institutionelle Rahmenbedingungen und der notwendige Freiraum für Selbststeuerung müssen bewusst geschaffen werden.

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