In Afrika vernetzen

(Der Standard, 23.1.2017) Kein Asylantrag mehr innerhalb Europas, sichere „Schutzzonen“ für abgelehnte Asylwerber: Diese Vorschläge des Verteidigungsministers sollten nicht vorschnell als „rechtsnational“ abgetan werden.

Den allergrößten Teil von Menschen, die aus afrikanischen Ländern nach Europa kommen, machen Migranten aus und nicht Flüchtlinge. Sie machen sich aus Hoffnung auf ein besseres Leben auf den Weg, nicht aus Angst vor Kriegen oder ähnlichen Bedrohungen. Der Unterschied wird klarer, wenn wir zwei große Missverständnisse aufklären.

Erstens, „Afrika“ sei der K-Kontinent, auf dem vor allem Kriege, Katastrophen und Korruption vorherrschen. Das ist falsch. Es gibt auch ein anderes Afrika, ein höchst dynamisches und vitales, ein Afrika der innovativen Realwirtschaft. Dieses hat die Anzahl der in „absoluter Armut“ lebenden Menschen auf dem Nachbarkontinent in den letzten beiden Jahrzehnten von 56 Prozent auf 35 Prozent der Bevölkerung reduziert. Und trotz Bevölkerungswachstums sinkt die Zahl der Armen nun auch in absoluten Zahlen.

Keine steigende Bedrohung

Dieses Faktum wird bei uns nicht wahrgenommen und kann daher nicht genug betont werden. Denn es bedeutet: Die steigende Bedrohung durch immer mehr Arme aus „Afrika“ gibt es nicht!

Zweitens kommen die Afrikanerinnen und Afrikaner nicht zu uns, weil sie immer ärmer werden, wie wir glauben, sondern weil sie immer weniger arm werden. Eine große Anzahl von Menschen hat erstmals die Möglichkeit, den eigenen materiellen Wohlstand und den ihrer Familien durch Migration zu verbessern. Es gehört zum Wesen der vernetzten globalen Gesellschaft, wie Studien belegen, dass Mobilität und Migration mit einer sich verbessernden materiellen Versorgung zunehmen.

Die afrikanischen Länder sind in den letzten beiden Jahrzehnten Teil der vernetzten globalen Gesellschaft geworden. Das hat eine neue Situation entstehen lassen. Die zu uns kommenden Menschen geringschätzig als „Armutsflüchtlinge“ zu bezeichnen, ist dabei genauso irreführend, wie die Genfer Flüchtlingskonvention anwenden zu wollen.

Wir müssen erkennen, dass Migration, Vermischung und Vernetzung längst die Richtung unserer Gesellschaften bestimmen. Die stetig wachsende Arbeitsteilung der Menschheit wurde auf globale Ebene gehoben, eine globale Kommunikations- und Wissensgesellschaft ist entstanden.

Legale Einwanderung ermöglichen

In Europa müssen wir alles daran setzen, diese Migration, Vermischung und Vernetzung aktiv gestalten zu können. Deswegen braucht Europa Kontrolle über die Immigrationsströme. Und deswegen müssen wir die Vorschläge der Minister Hans Peter Doskozil (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) ernsthaft diskutieren, genauso wie in Deutschland die Vorschläge des dortigen Innenministers, der bundesstaatliche „Ausreisezentren“ für abgelehnte Asylwerber vorsieht, diskutiert werden.

Die Verhinderung der illegalen Einwanderung zielt auch darauf ab, legale Einwanderung zu ermöglichen. Es erscheint ja absurd, dass wir wegen der vollkommen überforderten Asylpolitik auf eine aktive Immigrationspolitik auch aus Afrika verzichten. Es liegt sowohl im Interesse der Immigranten als auch der Zielländer, dass diese zueinanderpassen.

Die vernetzte globale Gesellschaft birgt aber auch einen anderen, bisher gar nicht beachteten Aspekt in sich. Vernetzung und Kommunikation sind keine Einbahnstraße. Auch europäische Menschen und Organisationen sollten verstärkt in die Herkunftsländer Afrikas ausschwärmen, um sich dort mit den Menschen und Organisationen zu vernetzen. Auf Basis von Angeboten, auf Augenhöhe, in kleinen Schritten. Nachhaltig, ohne missionarische Hilfsideen. Unsere Wirtschaft, aber auch unsere Politik, hat, wie unsere Anziehungskraft zeigt, durchaus einiges zu bieten.

Gesellschaft mitgestalten

Eine Vernetzung in afrikanischen Ländern birgt für europäische Organisationen nicht nur große wirtschaftliche Chancen, sie wird auch zur Bewältigung der afrikanischen Migration nach Europa beitragen. Dort in den Herkunftsländern lernen wir, wer die Menschen sind, die zu uns kommen wollen, was sie wollen und wie wir miteinander umgehen können. Nur wenn wir Migration, Vermischung und Vernetzung auch von der anderen Seite her denken, wird es uns gelingen, die vernetzte globale Gesellschaft mitzugestalten. Tun wir das nicht und gewinnen wir keine Kontrolle über die Zuwanderung, wird der Druck von der Straße und die dann populistisch agierenden Regierungen Europa in kleinstaatliche Streitereien und globale Bedeutungslosigkeit versenken. (Hans Stoisser, 23.1.2017) – derstandard.at/2000051308639/In-Afrika-vernetzen


 

Hans Stoisser als Autor:

Der schwarze Tiger – Was wir von Afrika lernen können

von Hans Stoisser, Kösel Verlag,
ISBN 978-3-466-37125-9

 

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